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Pressemitteilung
C-249/13;
Verkündet am: 
 11.12.2014
EuGH Europäischer Gerichtshof
 

Rechtskräftig: unbekannt!
Der Gerichtshof präzisiert den Umfang des Anspruchs auf rechtliches Gehör von illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen
Zum Urteilstext (Englisch!)
Zur englischen Version der Presserklärung

Die Richtlinie 2008/115 beschreibt die gemeinsamen Normen und Verfahren, die in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger gelten1.

Nachdem sich Herr Khaled Boudjlida während seines Studiums in Frankreich rechtmäßig aufgehalten hatte, wurde sein Aufenthalt Ende 2012 illegal, weil er keine Verlängerung seines letzten Aufenthaltstitels beantragt hatte. Als sich Herr Boudjlida Anfang 2013 als selbständiger Erwerbstätiger anmeldete, wurde er von der Polizei vorgeladen, um diese Anmeldung, die Umstände seiner Ankunft in Frankreich, die Umstände seines Aufenthalts als Student, seine familiären Verhältnisse und seinen eventuellen Wegzug aus Frankreich zu erörtern. Am selben Tag erließ der Präfekt des Departements Pyrénées-Atlantiques eine Entscheidung, durch die Herr Boudjlida verpflichtet wurde, das französische Hoheitsgebiet zu verlassen und ihm für die freiwillige Ausreise nach Algerien eine Frist von 30 Tagen gewährt wurde. Herr Boudjlida hat diese Entscheidung vor den französischen Gerichten angefochten.

Er macht geltend, vor Erlass der Rückkehrentscheidung nicht sachdienlich angehört worden zu sein. Er habe keine Gelegenheit gehabt, alle ihm entgegengehaltenen Punkte zu prüfen, da die französische Behörde sie ihm nicht vorher mitgeteilt habe und ihm vor der Anhörung keine ausreichende Bedenkzeit gewährt habe. Außerdem sei seine Anhörung durch die Polizeibehörde zu kurz gewesen (30 Minuten), und er habe überdies keinen Beistand hinzuziehen können. Das mit der Sache befasste Tribunal administratif de Pau befragt den Gerichtshof zum Inhalt des Rechts, gehört zu werden.

In seinem heutigen Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass in der Richtlinie nicht festgelegt wird, ob und unter welchen Bedingungen der Anspruch der Drittstaatsangehörigen auf rechtliches Gehör vor einer sie betreffenden Rückkehrentscheidung zu wahren ist. Dieser Anspruch gehört vielmehr untrennbar zur Wahrung der Verteidigungsrechte, die einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts darstellt. Sodann erinnert der Gerichtshof an die jüngst im Urteil Mukarubega2 aufgestellten Grundsätze und insbesondere an den mit Ausnahmen versehenen Grundsatz, wonach gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung erlassen werden muss, wenn die Rechtswidrigkeit seines Aufenthalts festgestellt worden ist. Der Anspruch auf rechtliches Gehör vor Erlass einer Rückkehrentscheidung soll es dem Betroffenen somit ermöglichen, seinen Standpunkt zur Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts und zur etwaigen Anwendung der Ausnahmen von dem genannten Grundsatz vorzutragen3. Auch müssen die nationalen Behörden kraft Unionsrecht das Wohl des Kindes, die familiären Bindungen und den Gesundheitszustand der betreffenden Drittstaatsangehörigen berücksichtigen und den Grundsatz der Nichtzurückweisung einhalten4, so dass der Betroffene auch hierzu anzuhören ist. Schließlich ergibt sich aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör für die zuständigen nationalen Behörden die Verpflichtung, dem Betroffenen zu ermöglichen, seinen Standpunkt zu den Modalitäten seiner Rückkehr vorzutragen (d. h. zur Ausreisefrist und dazu, ob die Rückkehr freiwillig erfolgen oder zwangsweise durchgesetzt werden soll), wobei die Frist zur freiwilligen Ausreise unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls (wie etwa Aufenthaltsdauer, Vorhandensein schulpflichtiger Kinder und das Bestehen anderer familiärer und sozialer Bindungen) verlängert werden kann.

Im Übrigen stellt der Gerichtshof fest, dass die zuständige nationale Behörde weder dazu verpflichtet ist, den Drittstaatsangehörigen über ihre Absicht, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, zu unterrichten, noch ihm die Gesichtspunkte, auf die sie diese Entscheidung zu stützen gedenkt, mitzuteilen, noch ihm vor Einholung seiner Stellungnahme eine Bedenkzeit zu gewähren. Das Unionsrecht5 sieht nämlich keine solchen Modalitäten kontradiktorischer Verfahren vor. Es genügt daher, wenn der Betroffene die Möglichkeit hat, seinen Standpunkt zur Rechtswidrigkeit seines Aufenthalts sowie solche Gründe sachdienlich und wirksam vorzutragen, die es rechtfertigen können, dass vom Erlass einer Rückkehrentscheidung abgesehen wird. Eine Ausnahme ist jedoch für den Fall zuzulassen, dass der Betroffene vernünftigerweise keinen Zweifel daran haben kann, welche Gesichtspunkte ihm entgegengehalten werden könnten, oder dazu objektiv erst nach Vornahme von Nachprüfungen oder Schritten – etwa zur Beschaffung von Nachweisen – Stellung nehmen könnte. Zudem kann gegen Rückkehrentscheidungen noch ein Rechtsbehelf eingelegt werden, so dass der Schutz und die Verteidigung des Betroffenen gegen eine für ihn negative Entscheidung gewährleistet sind.

Im vorliegenden Fall wusste Herr Boudjlida, dass sein Aufenthaltstitel abgelaufen und sein Aufenthalt in Frankreich illegal war. Überdies hatte die Polizeibehörde ihn ausdrücklich informiert, dass gegen ihn eine Rückkehrentscheidung ergehen könnte, und gefragt, ob er sich damit einverstanden erklären würde, das französische Hoheitsgebiet zu verlassen, sollte eine solche Entscheidung gegen ihn ergehen. Folglich war Herr Boudjlida über die Gründe für seine Anhörung unterrichtet worden, und er kannte deren Gegenstand sowie die etwaigen Folgen. Zudem betraf diese Anhörung eindeutig die für den etwaigen Erlass einer Rückkehrentscheidung gegen ihn relevanten und erforderlichen Informationen.

Auf die Frage, ob der Anspruch auf rechtliches Gehör den Anspruch umfasst, bei der Anhörung einen Beistand hinzuzuziehen, antwortet der Gerichtshof, dass ein Anspruch auf Rechtsbeistand in der Richtlinie erst im Rahmen der Rechtsbehelfe gegen Rückkehrentscheidungen vorgesehen ist. Er weist jedoch darauf hin, dass ein illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger jederzeit auf eigene Kosten einen Rechtsberater hinzuziehen kann, um sich bei seiner Anhörung rechtlich beistehen zu lassen, sofern durch die Wahrnehmung dieses Rechts nicht der ordnungsgemäße Ablauf des Rückkehrverfahrens und die effiziente Umsetzung der Richtlinie beeinträchtigt werden. Die Mitgliedstaaten sind nicht zur Übernahme der Kosten dieses Beistands im Rahmen der kostenfreien Rechtshilfe verpflichtet. Im Ausgangsverfahren hat Herr Boudjlida bei seiner Anhörung keinen Beistand eines Rechtsberaters verlangt.

Die kurze Dauer der Anhörung eines illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen (im Fall von Herr Boudjlida nur 30 Minuten) ist für die Beachtung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht erheblich, sofern der Betroffene die Möglichkeit hatte, sich hinreichend zur Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts und zu seiner persönlichen Lage zu äußern (was im Ausgangsverfahren der Fall war).

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HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
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1Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348, S. 98).
2Urteil des Gerichtshofs vom 5. November 2014, C-166/13 (vgl. Pressemitteilung Nr.142/14).
3Die Mitgliedstaaten können vom Erlass einer Rückkehrentscheidung gegen einen illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen absehen, wenn dieser zum Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat berechtigt ist (er muss sich dann in diesen anderen Mitgliedstaat begeben), wenn er von einem anderen Mitgliedstaat wieder aufgenommen wird, wenn sein Aufenthalt wegen Vorliegen eines Härtefalls oder aus humanitären oder sonstigen Gründen hingenommen wird oder wenn ein Verfahren anhängig ist, in dem über die Verlängerung seines Aufenthaltstitels entschieden wird.
4Art. 5 der Richtlinie 2008/115.
5Richtlinie 2008/115.
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Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist).