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Text des Urteils
2 Sa 726/10;
Verkündet am: 
 10.02.2011
LAG Landesarbeitsgericht
 

München
Vorinstanzen:
17 Ca 12831/09
Arbeitsgericht
München;
Rechtskräftig: unbekannt!
Ãœber Indiztatsachen ist nicht Beweis zu erheben, wenn die unter Beweis gestellten Hilfstatsachen zum Nachweis der Haupttatsache auch dann nicht auseichen, wenn man die Hilfstatsachen zugunsten der beweisbelasteten Partei als zutreffend annimmt
Leitsatz des Gerichts:
§ 284 ZPO

Ãœber Indiztatsachen ist nicht Beweis zu erheben, wenn die unter Beweis gestellten Hilfstatsachen zum Nachweis der Haupttatsache auch dann nicht auseichen, wenn man die Hilfstatsachen zugunsten der beweisbelasteten Partei als zutreffend annimmt.
In dem Rechtsstreit
Dr. A.
A-Straße, A-Stadt
- Kläger und Berufungskläger -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte B.
B-Straße, B-Stadt

gegen
Firma C. AG
vertreten durch den Vorstand, dieser vertreten durch den C-Straße, B-Stadt
- Beklagte und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte:
Syndizi D.
D-Straße, B-Stadt

hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 13. Januar 2011 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Waitz und die ehrenamtlichen Richter Dawid und Zahn für Recht erkannt:

I. Auf die Berufung des Klägers und unter Zurückweisung seiner Berufung im Übrigen wird das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 20.5.2010 – 17 Ca 12831/09 – abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 17.8.2009 beendet worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits als Projektleiter Forschung und Entwicklung zu den vertragsgemäßen Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger folgende Zahlungen zu leisten:

- € 1.981,55 brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1.8.2010 für August 2009,

- € 20.643,78 brutto abzüglich Arbeitslosengeld i.H.v. € 6.608,42 netto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils € 4.702,66 seit 1.10.2009, 1.11.2009 und 1.12.2009 für September bis November 2009,

- € 61.931,34 brutto abzüglich € 22.307,40 netto Gründungszuschuss nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils € 4.402,66 seit dem 1.1.2010, 1.2.2010, 1.3.2010, 1.4.2010, 1.5.2010, 1.6.2010, 1.7.2010, 1.8.2010 und 1.9.2010 sowie

- € 4.453,16 brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1.3.2010.

4. Im Ãœbrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. II. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Arbeitgeberkündigung, die Weiterbeschäftigung des Klägers sowie Vergütungsansprüche aufgrund Annahmeverzugs.

Der am 26.03.1957 geborene, verheiratete und einem Kind unterhaltspflichtige Kläger ist Physiker und seit 01.11.1984 bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt als Projektleiter Forschung und Entwicklung. Er hatte zuletzt ein Monatsgehalt in Höhe von € 6.779,00 brutto zuzüglich eines monatlichen Arbeitgeberzuschusses zur privaten Krankenversicherung in Höhe von € 102,26 brutto. Hinzu kamen ein Jahreszahlungsgrundbetrag sowie ein Jahresbonus. Auf das Arbeitsverhältnis sind die Vertragsbedingungen Direktionskreis und Oberer Führungskreis vom 01.10.2008 anwendbar (Bl. 24 ff. d. A.). Diese sehen im Rahmen eines genehmigten Wirtschaftsplanes und der jeweiligen Unterschriftenregelung eine Berechtigung zur selbständigen Einstellung und Entlassung zugeordneter Mitarbeiter vor. Tatsächlich nahm der Kläger ohne das Einverständnis seines Vorgesetzten keine Einstellungen und Entlassungen vor.

Eine „Richtlinie für die Unterschriftsberechtigung in den Zentralen Einheiten“ sieht bei der Bestellung von Waren im Wert von über € 410,00 das Prinzip zweier unabhängiger Unterschriften vor. Neben der Erstunterschrift durch den fachlichen Genehmiger ist die Zweitunterschrift eines berechtigten kaufmännischen Mitarbeiters erforderlich (siehe CF R – Rundschreiben Nr. 04/2008 sowie die Richtlinie Bl. 116 ff. d. A.). Der interne Prozess für Bestellungen läuft bei der Beklagten über das rechnergestützte Beschaffungsportal SRM, das den Bestellprozess für die Mitarbeiter im Einzelnen regelt. Dies gilt sowohl für die Auswahl der Genehmiger aus vorgegebenen Listen als auch deren Reihenfolge im Genehmigungsprozess.

Der Kläger war auch im Bereich Piezo Actuator Drive (PAD) tätig. Jedenfalls seit 2008 gab es bei der Beklagten Überlegungen, diesen Bereich zu verkaufen bzw. auszugründen. Verantwortlich für diese sogenannte Kommerzialisierung war Herr Dr. E.

Am 27.06.2008 wurde der Kläger abgemahnt, weil er seinem unmittelbaren Vorgesetzten Herrn Dr. F. mitgeteilt habe, dass er ihm für eine Laborführung den Zutritt zu den Laborräumen verwehren werde (Bl. 146 d. A.). Eine weitere Abmahnung vom 27.06.2008 betrifft den Vorwurf, der Kläger habe Herrn Dr. E. mitgeteilt, er werde bis auf weiteres nicht über den Projektfortschritt „PAD“ berichten (Bl. 147 d. A.). Am 13.05.2009 erhielt der Kläger zwei Abmahnungen. Die eine enthält den Vorwurf, der Kläger habe am 30.04.2009 Herrn Dr. F. vor den anderen geladenen Besprechungsteilnehmern den Zutritt zum Labor verwehrt (Bl. 144 d. A.). In der weiteren Abmahnung wird dem Kläger vorgeworfen, er sei unentschuldigt und kommentarlos zu zwei vereinbarten Terminen mit seinem Vorgesetzten Dr. F. nicht erschienen (Bl. 145 d. A.).

Am 04. und 13.06.2009 übermittelte der Kläger der Firma G. für sogenannte PAD-Demonstratoren. Mit deren Hilfe sollten Abläufe im Rahmen der PAD-Technologie demonstriert werden. Mit E-Mail vom 15.06.2009 (Bl. 136 d. A.), cc an Herrn Dr. E., ersuchte der Kläger seinen Mitarbeiter Dr. H., die Bestellung für die „bereits in der Herstellung“ befindlichen PAD-Demonstratoren auszulösen. Im Rahmen des daraufhin von Herrn Dr. H, ausgelösten SRM-Bestellprozesses erteilte der Kläger am 16.06.2009 die fachliche Genehmigung zur Bestellung von 15 Demonstratoren im Gesamtwert von € 1.500,00, während die kaufmännische Genehmigerin, Frau I., am 18.06.2009 die Genehmigung ablehnte. Frau I. hatte zuvor von Herrn Dr. E. die Information erhalten, dass für die Kommerzialisierungsaktivitäten keine weiteren PAD-Demonstratoren mehr erforderlich seien (Bl. 130 d. A.). Am 18.06.2009 übermittelte Frau I die Ablehnung des Herrn Dr. E. an Herrn Dr. H., der diese wiederum am 22.06.2009 per E-Mail an den Kläger weitergab (Bl. 131 d. A.). Mit E-Mail vom 24.06.2009 teilte der Kläger Frau I. und Herrn Dr. E. mit, dass der Zeichnungssatz bereits vorab an Herrn J. von der Herstellerfirma G.Feintechnik übermittelt und die Demonstratoren deshalb bereits hergestellt worden seien. Er bat darum, die Entscheidung einer Kostenübernahme nochmals zu überdenken (Bl. 135 d. A.). Daraufhin teilte Frau I. dem Kläger noch am 24.06.2009 mit, es liege keine genehmigte Bestellung vor und PS könne für die Kosten nicht aufkommen (Bl. 137 d. A.).

Am 13.07.2009 war der Kläger bei der Firma G. (Bl. 140 d. A.) und Rechnung (Bl. 143 d. A.) mit.

Mit inhaltsgleichen Schreiben vom 11.08.2009, jeweils übergeben am selben Tag, wurden der Sprecherausschuss und der Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen und hilfsweisen ordentlichen Kündigung des Klägers angehört (Bl. 148 ff. d. A.). In dem fünfseitigen Anhörungsschreiben heißt es unter anderem:

„Am 24.6.2009 teilte Herr Dr. A. per E-Mail Frau I. und Herrn Dr. E. mit, dass die PAD-Demonstratoren bereits vorab von ihm bei der Lieferfirma G. bestellt wurden und bereits gefertigt wurden (s. Anlage 4 – Kopie der Mail von Herrn Dr. A. an Herrn Dr. E. und Frau I).

…

September 2005

Herr Dr. A. führte ein Presse-Interview mit der Redaktion der Business Week, in welchem er seine alleinige herausragende Leistung auf dem Gebiet „piezo-based fuel injector“ formulierte. Dieses Interview wurde im Vorfeld weder mit den entsprechenden Führungskräften, Projektpartnern, Teammitgliedern noch mit der Pressestelle bei C. abgesprochen.“


Mit Schreiben vom 14.08.2009, der Personalabteilung der Beklagten am selben Tag übergeben, widersprach der Betriebsrat der Kündigung (Bl. 31 ff. d. A.). Der Sprecherausschluss erhob Bedenken gegen die beabsichtigte Kündigung. In seinem Schreiben vom 12.08.2009 (Bl. 133 f. d. A.) heißt es unter anderem:

„…

2. Nach Aussage von Herrn Dr. A. war ihm die Pflicht zur zusätzlichen Genehmigung von Bestellungen durch eine dritte Person, namentlich Herr Dr. E, nicht bekannt.

3. Zudem war nach Aussage von Herrn Dr. A. das gewählte Vorgehen, nämlich bei technischen Bestellungen mit langen Lieferzeiten (8 - 12 Wochen), bereits vor zweiter Genehmigung durch einen verantwortlichen Kaufmann/Kauffrau eine Bestellung bei einem Lieferanten auszulösen, durchaus üblich.

…“


Am 17.08.2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 31.03.2010. Das Kündigungsschreiben (Bl. 30 d. A.) ging dem Kläger am 18.08.2009 zu.

Mit der am 19.08.2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage hat der Kläger geltend gemacht, beide Kündigungen seien aus mehreren Gründen unwirksam. Schon in erster Instanz hat der Kläger vorgetragen, er sei in Kenntnis des E-Mail-Verkehrs davon ausgegangen, dass Dr. F. lediglich nicht bereit sei, die Bestellung auf seine Kostenstelle im Rahmen des Kommerzialisierungsprojekts zu übernehmen. Damit sei keine Entscheidung über die Herstellung der PAD-Demonstratoren im Rahmen der technologischen Weiterentwicklung getroffen worden. Außerdem habe er die Demonstratoren zu keiner Zeit bei der Lieferfirma bestellt, sondern lediglich Zeichnungssätze zur Einholung eines Angebots übermittelt. Die Lieferfirma habe aus eigenem Antrieb in der Erwartung, dass ein Vertrag zustande komme, mit der Herstellung begonnen. Ihm sei nicht mitgeteilt worden, dass er eine Bestellung nur dann fachlich genehmigen könne, wenn Herrn Dr. E. diese vorab genehmigt habe, auch nicht in einem Gespräch am 13.10.2008. In der Zeit vom 13.08.2008 bis 15.06.2009 habe es wenigstens 30 Anschaffungen für die PAD-Technologie gegeben, die er fachlich genehmigt habe, ohne dass es eine vorherige Genehmigung des Herrn Dr. E. gegeben habe. Er sei nicht leitender Angestellter im Sinne des BetrVG oder des KSchG. Die Anhörung des Betriebsrats sei wegen falscher Informationen und Unterlassungen unwirksam. Wegen der Unwirksamkeit der Kündigung habe er Ansprüche auf Weiterbeschäftigung sowie auf Vergütungszahlung wegen Annahmeverzugs.

Dagegen hat die Beklagte zur Begründung der Kündigungen vorgetragen, der Kläger sei nicht Willens, Vorgaben für ihn als verbindlich zu akzeptieren. Sein Verhalten sei nicht länger hinnehmbar. Er habe in mehrfacher Weise wider besseres Wissen gegen die bestehenden Genehmigungserfordernisse verstoßen. Zum einen hätte er den Bestellvorgang nicht ohne vorherige Genehmigung durch Herrn Dr. E. genehmigen dürfen. Er sei auf einer Besprechung am 13.10.2008 über die Notwendigkeit einer solchen Vorabgenehmigung informiert worden. Er habe auch den Hintergrund gekannt, dass die PAD-Technologie nach einer Entscheidung des Vorstands der Beklagten nicht mehr innerhalb der Abteilung des Klägers weiterentwickelt, sondern kommerzialisiert werden sollte. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger die fünfzehn PAD-Demonstratoren entweder ohne das Vorliegen einer vorherigen Genehmigung durch Herrn Dr. E. und Frau I. oder trotz versagter Genehmigung durch diese Personen bestellt habe. Außerdem habe er die Bestellung erneut freigegeben, nachdem Herr Dr. H. den SRM-Bestellprozess am 23.07.2009 erneut in Gang gesetzt habe. Die vom Kläger unsubstantiiert ins Feld geführten mindestens 30 Anschaffungen ohne Mitwirkung von Herrn Dr. E. seien mit der Anschaffung der Demonstratoren nicht vergleichbar, da sie ohne spezifischen fachlichen Bezug offenbar lediglich Büro- und sonstiges Verbrauchsmaterial betroffen hätten. Die dem Kläger erteilten Abmahnungen seien einschlägig, denn darin werde das Ignorieren von Prozessen und Regeln durch den Kläger gerügt. Sprecherrat und – vorsorglich - Betriebsrat seien ordnungsgemäß angehört worden, denn ihnen seien sämtliche für die Kündigung als ausschlaggebend angesehene Umstände mitgeteilt worden.

Mit Endurteil vom 20.05.2010 hat das Arbeitsgericht die Klage mit den Anträgen, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 17.08.2009 beendet wurde sowie auf Verurteilung der Beklagten zur Weiterbeschäftigung sowie zur Zahlung von € 20.643,78 brutto sowie € 879,24 netto abzüglich Arbeitslosengeld sowie abgeführter Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung für die Zeit bis November 2009 abgewiesen.

Das Arbeitsgericht hat angenommen, die außerordentliche Kündigung vom 17.08.2009 sei wirksam und habe das Arbeitsverhältnis zum 18.08.2009 beendet. Der Kläger habe dadurch, dass er am 13.07.2009 15 PAD-Demonstratoren abholte, von denen er gewusst habe, dass deren Bestellung nicht genehmigungsfähig war, vorsätzlich und hartnäckig gegen die bei der Beklagten bestehenden Vorgaben für Bestellungen verstoßen. Er habe vom Fehlen der erforderlichen kaufmännischen Genehmigung gewusst. Die Antwort der kaufmännischen Genehmigerin Frau I. vom 24.06.2009 auf den Versuch des Klägers, diese umzustimmen, habe dem Kläger keinen Spielraum mehr für eine möglicherweise noch gehegte Hoffnung gegeben, nach Vollendung des Bestellvorgangs durch Selbstabholung der Ware noch eine nachträgliche Genehmigung zu erzielen. Der Kläger habe durch die Abholung der Ware gegen Aushändigung und Lieferschein den Bestellvorgang quasi beendet.

Die Kündigung sei nicht unverhältnismäßig. Der Kläger sei wegen gleichartiger Pflichtenverstösse bereits abgemahnt worden. Für die Gleichartigkeit komme es darauf an, ob der Rügekern des abgemahnten Verhaltens materiell mit dem Kündigungsvorwurf vergleichbar ist. Dies sei hier der Fall, denn der Kläger habe bereits mit dem abgemahnten Verhalten nachdrücklich gezeigt, dass er sich im Einzelfall nicht scheue, personelle und fachliche Vorgaben zu missachten. Bei einer Abwägung der gegenseitigen Interessen überwiede das sofortige Beendigungsinteresse der Beklagten. Angesichts der Hartnäckigkeit des Verhaltens des Klägers sei seiner nahezu 25-jährigen Betriebszugehörigkeit, seinem Alter sowie den bestehenden Unterhaltspflichten kein entscheidendes Gewicht beizumessen. Aufgrund der Abmahnungen habe der Kläger gewarnt sein müssen, dass die Beklagte weitere Alleingänge nicht dulden werde. Das vom Kläger im Kammertermin nachdrücklich zur Schau gestellte fachliche Selbstbewusstsein müsse auch künftig fast zwangsläufig mit Sachzwängen kollidieren, die der Kläger aufgrund der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit der Beklagten akzeptieren müsse, ohne die tatsächlich zu akzeptieren.

Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt, denn nach der unbestrittenen Darstellung der Beklagten hätten die Vorgesetzten des Klägers am 06.08.2009 von den die Kündigung stützenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Die Kündigung sei nicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam. Der Betriebsrat habe angehört werden müssen, denn der Kläger sei kein leitender Angestellter im Sinne von § 5 Abs. 3 und Abs. 4 BetrVG. Er sei ordnungsgemäß angehört worden. Etwaige vereinzelte und vom Kläger gerügte terminologische Unschärfen würden nicht als Anhaltspunkte dafür reichen, dass die Beklagte den Sachverhalt bewusst unrichtig oder irreführend geschildert habe. Wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die außerordentliche Kündigung habe der Kläger weder einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung noch Vergütungsansprüche aus Annahmeverzug.

Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Sachvortrags der Parteien und der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Gegen dieses den Klägervertretern am 24.06.2010 zugestellte Endurteil richtet sich die die Berufung des Klägers vom 22.07.2010, die am 15.09.2010 begründet worden ist, nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zum 24.09.2010 verlängert worden war.

Der Kläger rügt, das Arbeitsgericht nehme zu Unrecht einen Kündigungsgrund an. Tatsächlich habe er nicht gegen die Richtlinie der Beklagten zur Bestellung von Waren verstossen. Diese Richtlinie sehe Genehmigungserfordernisse ausschließlich für die verbindliche Bestellung von Waren vor. Nicht genehmigungsbedürftig seien dagegen das unverbindliche Einholen von Angeboten und damit einhergehende Vorgänge wie die Übersendung von Zeichnungssätzen zur Einholung eines Angebots oder die Mitnahme eines noch zu genehmigenden Produkts zur Ansicht. Das Arbeitsgericht messe dem Abholen der Ware eine rechtlich falsche Bedeutung bei. Ergänzend zu seinem erstinstanzlichen Sachvortrag trägt der Kläger vor, er habe Herrn J. von der Zuliefererfirma G.die für die Produktion notwendigen Daten mit dem Hinweis übermittelt, dass es für eine verbindliche Bestellung noch der Freigabe der Beklagten bedürfe. Der Sohn des Geschäftsführers, ein Jungfacharbeiter, habe dann schon mal die Demonstratoren hergestellt, da dies eine gute Übung für ihn gewesen sei und es keine andere Arbeit gegeben habe. Beim Besuch der Firma G. habe der Kläger den Geschäftsführer nochmals darüber informiert, dass es noch keine Bestellung gebe. Er habe die Ware mit Rechnung und Lieferschein mitgenommen um nachzufragen, ob man die Ware nicht bestellen könne. Später habe Frau I. zweimal Herrn J. von der Firma G. angerufen und um Übermittlung des Bestellscheins gebeten. Herr J. habe einen solchen Bestellschein nicht aushändigen können, da es keine Bestellung gegeben habe. Dies habe er Frau I. mitgeteilt. Weiter habe er Frau I. erklärt, dass die Beklagte die Teile entweder bezahlen oder zurückschicken solle (Beweis: Zeuge J.).

Der Kläger rügt weiter eine fehlerhafte Tatsachenfeststellung durch das Arbeitsgericht, soweit es um die systemtechnische Ablehnung durch Frau I. geht. Diese sei erst am 24.07.2009 erfolgt.

Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass die Abmahnungen kein gleichartiges Fehlverhalten beträfen. Der als Kündigungsanlass dienende behauptete Verstoss betreffe einen völlig anderen Bereich als die Vorwürfe in den Abmahnungen. Eine materielle Vergleichbarkeit bestehe nicht. In den Abmahnungen sei nicht die Missachtung von Vorgaben gerügt worden, sondern die fehlende Bereitschaft, dem Vorgesetzten des Klägers Zutritt zu den Laborräumen zu gewähren und ihm zu berichten.

Im Rahmen der Interessenabwägung habe das Arbeitsgericht die berechtigten Interessen des Klägers nicht berücksichtigt. Insbesondere hätte berücksichtigt werden müssen, dass der Beklagten kein Schaden entstanden sei. Die Demonstratoren seien freiwillig gezahlt worden und würden von der Beklagten genutzt. Außerdem stelle das Arbeitsgericht auf Umstände nach Ausspruch der Kündigung ab. Das Arbeitsgericht habe seine Äußerungen im Kammertermin missverstanden. Er habe nur darauf hinweisen wollen, dass es zahlreiche verbindliche und schriftliche Richtlinien gebe. Zu Unrecht nehme das Arbeitsgericht an, er habe die Einhaltung der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht bestritten.

Weiter sei der Betriebsrat fehlerhaft angehört worden. Falsch seien insbesondere die Informationen an den Betriebsrat, am 24.06.2009 habe er Frau I. und Herrn Dr. E. mitgeteilt, dass die PAD-Demonstratoren bereits vorab bestellt worden seien, außerdem, dass ein Interview im September 2005 nicht mit der Pressestelle abgesprochen worden sei. Tatsächlich habe er Frau I. und Herrn Dr. E. lediglich die Übermittlung von Zeichnungssätzen mitgeteilt und sei das Interview von der Pressestelle initiiert und organisiert gewesen.

Wegen der Unwirksamkeit der Kündigung sei die Beklagte zur Weiterbeschäftigung sowie zur Vergütungszahlung aus Annahmeverzug verpflichtet. Für die Monate September bis November 2009 habe er Arbeitslosengeld in Höhe von insgesamt € 6.535,80 erhalten. Für die Monate Dezember 2009 bis einschließlich August 2010 sei ein monatlicher Gründungszuschuss in Höhe von € 2.478,60 bei seinen Vergütungsansprüchen in Abzug zu bringen. Die variable Vergütung für das Geschäftsjahr 2008 / 2009 habe er nur anteilig für 10,5 Monate erhalten. Offen seien noch € 4.535,25 brutto. Außerdem habe die Beklagte bei der Auszahlung der variablen Vergütung im Juli 2010 einen Betrag in Höhe von € 1.981,55 brutto einbehalten mit der Begründung, der Kläger habe für August 2009 zuviel Vergütung erhalten. Die von der Agentur für Arbeit als Arbeitnehmeranteil abgeführten Sozialversicherungsbeiträge müsse er sich auf seine Vergütungsansprüche aus Annahmeverzug nicht anrechnen lassen.

Der Kläger stellt folgende Anträge:

1. Unter Änderung des am 20.5.2010 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts München (17 Ca 12831/09) wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die „außerordentliche und fristlose“ Kündigung der Beklagten vom 17.8.2009 beendet worden ist.

2. Unter Änderung des am 20.5.2010 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts München (17 Ca 12831/09) wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung der Beklagten vom 17.8.2009 beendet worden ist.

3. Unter Änderung des am 20.5.2010 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts München (17 Ca 12831/09) wird die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits als Projektleiter Forschung und Entwicklung zu den vertragsgemäßen Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigen.

4. Unter Änderung des am 20.5.2010 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts München (17 Ca 12831/09) wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger € 20.643,78 brutto abzüglich erhaltenem Arbeitslosengeld in Höhe von € 6.535,80 netto zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils € 6.881,26 seit dem 1.10.2009, 1.11.2009 und 1.12.2009.

5. In Erweiterung des am 20.5.2010 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts München (17 Ca 12831/09) wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger € 61.931,34 brutto abzüglich erhaltenem Gründungszuschuss in Höhe von € 22.307,40 netto zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils € 6.881,26 seit dem 1.1.2010, 1.2.2020, 1.3.2010. 1.4.2010, 1.5.2010, 1.6.2010, 1.7.2010, 1.8.2010 und dem 1.9.2010.

6. In Erweiterung des am 20.5.2010 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts München (17 Ca 12831/09) wird die Beklagte verurteilt, € 6.516,80 brutto an den Kläger zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus € 4.535,20 seit dem 1.3.2010 und aus € 1.981,55 seit dem 1.8.2010.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Arbeitsgerichts für zutreffend. Ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB liege jedenfalls darin, dass der Kläger am 13.07.2009 die 15 PAD-Demonstratoren mit Lieferschein und Rechnung bei der Firma G. abgeholt habe, obwohl er gewusst habe, dass deren Bestellung gegen die geltende Richtlinie zur Bestellung von Waren verstößt. Außerdem habe der Kläger gewusst, dass eine weitere erforderliche Genehmigung durch den Verantwortlichen des Kommerzialisierungsprojekts

Herrn Dr. E. nicht vorgelegen habe. Die Behauptung des Klägers, er habe die Ware am 13.07.2009 unverbindlich zur Ansicht mitgenommen, sei unzutreffend und nicht glaubwürdig. Gegenüber dem Sprecherausschuss habe der Kläger angegeben, er habe die Bestellung der Demonstratoren bereits vor der Genehmigung durch den verantwortlichen Genehmiger ausgelöst (Beweis: Zeugen K. und L.). In seinem Schriftsatz vom 15.04.2009 habe der Kläger selbst vorgetragen, Herrn Dr. E. am 15.06.2009 über die Bestellung informiert zu haben. Weder auf dem Lieferschein noch auf der Rechnung der Firma G. sei eine Bestellung „zur Ansicht“ vermerkt. In einem Telefonat mit Frau I. am 06.08.2009 habe sich Herr J. darüber beschwert, dass die 15 Demonstratoren noch nicht bezahlt worden seien. Trotz des Hinweises von Frau I. auf eine fehlende Bestellung habe er nicht auf eine Bestellung zur Ansicht hingewiesen (Beweis: Zeugin I.). Schließlich belege die Kenntnis des Klägers von der Herstellung bereits am 15.06.2009 eine Bestellung bei der Firma G.. Diese sei spätestens mit der Abholung der Ware am 13.07.2009 vollendet worden.

Das Entstehen eines Schadens bei der Beklagten sei ohne Belang. Im Übrigen würden die Demonstratoren von der Beklagten nicht genutzt. Eine vorherige Abmahnung sei nicht erforderlich gewesen, da der Kläger vorsätzlich und hartnäckig gegen die Bestellvorschriften der Beklagten verstoßen habe. Außerdem nehme das Arbeitsgericht zutreffend an, dass die vorherigen Abmahnungen einschlägig sind. Die vom Arbeitsgericht durchgeführte Interessenabwägung sei zutreffend. Es habe die Kündigung auch nicht auf nach der Kündigung liegende Gründe gestützt, sondern lediglich angenommen, dass das Verhalten des Klägers im Kammertermin die negative Prognose bestätigt habe. Die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei eingehalten. Die Führungskraft des Klägers, Herr Dr. F., und Frau I. seien erst durch das Telefonat mit Herrn J. am 06.08.2009 von der definitiven Bestellung des Klägers in Kenntnis gesetzt worden. Schließlich sei der Betriebsrat zutreffend unterrichtet worden. Die mitgeteilten Tatsachen hätten dem subjektiven Kenntnisstand der Beklagten entsprochen. Das Interview sei jedenfalls nicht mit den Vorgesetzten des Klägers abgestimmt gewesen.

Vorsorglich bestreitet die Beklagte die Höhe der vom Kläger geltend gemachten Zahlungsansprüche. Er müsse sich die von der Agentur für Arbeit abgeführten Sozialversicherungsbeiträge anrechnen lassen. Deshalb habe der Kläger seine Klage im Kammertermin vom 25.03.2010 teilweise zurückgenommen. Außerdem werde die Höhe des Gründungszuschusses bestritten. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger über die von ihm angegebenen Leistungen hinaus einen monatlichen sozialen Ausgleich in Höhe von € 300,00 erhalten habe. Bei der variablen Vergütung sei allenfalls eine Differenz in Höhe von € 4.453,16 brutto offen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachvortrags im Berufungsverfahren wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 14.09.2010 und 15.12.2010 sowie der Beklagten vom 22.11.2010 Bezug genommen, außerdem auf die Sitzungsniederschrift vom 13.01.2011.


Entscheidungsgründe:


I.

Die Berufung ist zulässig.

Sie ist statthaft und wurde form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 64 Abs. 2 b und c, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO).


II.

Die Erweiterung der Zahlungsanträge ist zulässig.

Es handelt sich um eine sachdienliche Klageänderung (§ 263 ZPO). Durch die geänderten Anträge können weitere Streitpunkte zwischen den Parteien unter Verwertung des bisherigen Streitstandes miterledigt werden. Dadurch wird ein denkbarer neuer Prozess vermieden.


III.

Die Berufung ist ganz überwiegend begründet.

Die Kündigung der Beklagten vom 17.08.2009 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien weder mit sofortiger Wirkung noch zum 31.03.2010 aufgelöst. Es fehlt schon an einem Kündigungsgrund, denn wegen des Fehlens eines geeigneten Beweisangebots durch die Beklagte kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger unberechtigt 15 PAD-Demonstratoren bestellt hat. Wegen der Unwirksamkeit der Kündigung ist die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers sowie zur Vergütungszahlung aus Annahmeverzug verpflichtet. Im Einzelnen gilt folgendes:

1. Die Kündigung vom 17.08.2009 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst.

Es liegen weder ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB noch verhaltensbedingte Gründe vor (§ 1 Abs. 1 S. 1 KSchG).

a) Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger trotz einer fehlenden kaufmännischen Genehmigung der Frau I. die 15 Demonstratoren bei der Firma G. bestellt hat.

Die Beklagte beruft sich auf die Wirksamkeit ihrer Kündigung und trägt damit die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes. Sie macht zunächst einen Verstoß gegen die Richtlinie zur Bestellung von Waren geltend und wirft dem Kläger vor, die Demonstratoren ohne eine vorherige Genehmigung durch Herrn Dr. E. und ohne kaufmännische Genehmigung durch Frau I. oder trotz versagter Genehmigung durch diese beiden Personen bestellt zu haben (so z. B. auf S. 2 unten des Anhörungsschreibens an den Betriebsrat).

Zutreffend weist der Kläger darauf hin, dass das unverbindliche Einholen von Angeboten oder die Übersendung von Zeichnungssätzen zur Einholung eines Angebots noch keine verbindliche Bestellung darstellen und damit nicht genehmigungspflichtig sind. Der Kläger hat schon in erster Instanz eine verbindliche Bestellung bei der Firma G. bestritten und ergänzend hierzu auf den Seiten 26 ff. der Berufungsbegründung sehr detailliert vorgetragen, die Zulieferfirma habe die Waren ohne eine Bestellung produziert und warum die Mitnahme der Waren vom 13.07.2009 keine verbindliche Bestellung bzw. ein Vertragsschluss sei. Aufgrund der bei ihr liegenden Beweislast hätte die Beklagte Tatsachen unter Beweis stellen müssen, aus denen sich ergibt, dass dieser Sachvortrag des Klägers nicht zutrifft und er tatsächlich die Demonstratoren bestellt hat. Dies hat sie unterlassen. Sie hat zu dem Bestellvorgang selbst weder konkret vorgetragen noch ihn unter Beweis gestellt. Vielmehr möchte sie – ebenso wie das Arbeitsgericht – aus verschiedenen Indizien die Schlussfolgerung ziehen, dass es eine Bestellung durch den Kläger gegeben habe.

Über diese Indiztatsachen war nicht Beweis zu erheben, weil die unter Beweis gestellten Hilfstatsachen zum Nachweis einer Bestellung auch dann nicht ausreichen, wenn man sie zu Gunsten der Beklagten als zutreffend annimmt. Ein Indizienbeweis ist zwar nicht von vornherein unzulässig. Vor einer Beweiserhebung ist aber zu prüfen, ob er schlüssig ist, ob also die Gesamtheit aller vorgetragenen Indizien – ihre Richtigkeit unterstellt – das Gericht von der Wahrheit der Haupttatsache überzeugen würde (BGH vom 17.02.1970 – III ZR 139/67 – NJW 1970, 946; BAG vom 16.12.2010 – 6 AZN 937/10 -; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Auflage, Rn. 74 zu § 284).

Aus folgenden Gründen sind die von der Beklagten vorgetragenen Hilfstatsachen unschlüssig und für den Nachweis einer Bestellung nicht ausreichend. Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass eine nur für einen speziellen Kunden geeignete Ware normalerweise erst nach einer verbindlichen Bestellung hergestellt wird. Auch die Mitnahme der Ware mit einer Rechnung und einem Lieferschein geschieht in der Regel erst nach einem verbindlichen Vertragsschluss. Allerdings hat der Kläger hier detailliert Tatsachen vorgetragen, die ein Abweichen von diesem Normalfall plausibel machen. Er hat den Geschäftsführer der Zulieferfirma Herrn J. als Zeugen zum Beweis der Richtigkeit seines Tatsachenvortrags angeboten.

Der Sachvortrag der Beklagten zu einem Telefonat zwischen Frau I. und Herrn J., das diese nur durch die Zeugin I. unter Beweis gestellt hat, steht nicht in einem zwingenden Widerspruch zur Darstellung des Klägers. Nach dem Vortrag der Beklagten beschwerte sich Herr J. darüber, dass die 15 PAD-Demonstratoren noch nicht bezahlt worden seien. Nach dem Vortrag des Klägers erklärte Herr J. Frau I., dass die Beklagte die Ware entweder bezahlen oder zurückschicken solle. Eine solche Äußerung kann durchaus von Frau I. als Beschwerde über die noch nicht erfolgte Zahlung verstanden worden sein. Die Beklagte trägt nicht näher vor, mit welchen genaueren Worten Herr J. seine Beschwerde zum Ausdruck gebracht haben soll.

Nach der Stellungnahme des Sprecherausschusses vom 12.08.2009 erklärte der Kläger sein Vorgehen damit, bei technischen Bestellungen mit langen Lieferzeiten sei es üblich, vor der zweiten Genehmigung durch einen verantwortlichen Kaufmann eine Bestellung bei einem Lieferanten auszulösen. Diesen Sachvortrag hat die Beklagte auch durch die Zeugen K. und L. unter Beweis gestellt. Durch eine Beweisaufnahme hätte allerdings nur die Aussage des Klägers bewiesen werden können, nicht dagegen, dass es tatsächlich eine Bestellung gegeben hat. Es ist durchaus denkbar, dass sich der Kläger unklar ausdrückte oder seine Gesprächspartner ihn missverstanden haben. Insbesondere ist es naheliegend, dass die Übermittlung von Zeichnungssätzen mit einer Bestellung gleichgesetzt wird. Auch die Beklagte hat eine solche Gleichsetzung vorgenommen. Auf Seite 2 des Anhörungsschreibens an den Betriebsrat heißt es, am 24.06.2009 habe der Kläger Frau I. und Herrn Dr. E. mitgeteilt, die PAD-Demonstratoren seien bereits vorab bestellt worden. In der E-Mail, auf die sich die Beklagte bezieht (Bl. 222 d. A.) heißt es allerdings lediglich, der Zeichnungssatz sei vorab an Herrn J. übermittelt worden.

Im Übrigen hätte die Gesamtheit der von der Beklagten vorgetragenen Indizien – ihre Richtigkeit unterstellt – das Gericht auch deshalb nicht von einer Bestellung überzeugen können, weil die Beklagte den Zeugen J. zum Beweis dafür hätte anbieten können, dass der Sachvortrag des Klägers zur Bestellung unrichtig ist und es tatsächlich eine Bestellung gab. Die Beklagte hat ein solches Beweisangebot ganz bewusst unterlassen.

b) Die Kündigung kann weiter nicht damit begründet werden, der Kläger habe die Bestellung der 15 Demonstratoren fachlich genehmigt, obwohl er zuvor die Genehmigung des Herrn Dr. E. hätte einholen müssen.

Wenn man zugunsten der Beklagten unterstellt, dem Kläger sei anlässlich einer Besprechung am 13.10.2008 mitgeteilt worden, dass alle Bestellungen im Rahmen des Technologietransfers PAD vorab durch Herrn Dr. E. genehmigt werden müssen, ist die Kündigung unwirksam, da unverhältnismäßig. Jedenfalls bezüglich dieses Vorwurfs fehlt es an einer gleichartigen oder einschlägigen Abmahnung des Klägers. In Rechtsprechung und Literatur besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass es nach Ausspruch einer Abmahnung regelmäßig eines weiteren „einschlägigen“ Fehlverhaltens bedarf, um eine Kündigung zu rechtfertigen. Allerdings lässt sich nicht präzise definieren, wann der auf einer Abmahnung folgende Wiederholungsfall „gleichartig“ ist bzw. „auf der gleichen Ebene“ liegt (APS-Dörner, § 1 KSchG, Rn 425 f zu § 1 KSchG). Das Bundesarbeitsgericht hat zuletzt angenommen, für eine negative Prognose bezüglich weiterer Vertragsstörungen sei es ausreichend, wenn die jeweiligen Pflichtverletzungen aus demselben Bereich stammen und somit Abmahnung und Kündigungsgrund in einem inneren Zusammenhang stehen (Urteil vom 13.12.2007 – 2 AZR 818/06 – NZA 2008, 589; s.a. Urteile vom 10.11.1988 – 2 AZR 215/88 – NZA 1989, 633 sowie vom 16.1.1992 – 2 AZR 412/91 – NZA 1992, 1023). Ebenso wie bei der Frage, ob eine Abmahnung entbehrlich ist, ist auch bei der Frage der Gleichartigkeit die Hinweis- und Warnfunktion der Abmahnung zu berücksichtigen. Danach ist eine weitere Abmahnung entbehrlich, wenn der Arbeitnehmer die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens kannte und mit einer Kündigung rechnen musste. Wenn keine schwerwiegende Pflichtverletzung vorliegt, erhält der Arbeitnehmer typischerweise durch eine Abmahnung Kenntnis von einem pflichtwidrigen Verhalten und einer drohenden Kündigung.

Hier musste der Kläger aufgrund der Abmahnungen vom 27.6.2008 und 13.5.2009 nicht damit rechnen, bei einer fachlichen Genehmigung ohne Vorabgenehmigung durch Herrn Dr. E. gekündigt zu werden. Der Kläger hat vorgetragen, zwischen dem 13.10.2008 und dem 15.6.2009 habe er wenigstens 30 durch Herrn Dr. H. initiierte Anschaffungen in vergleichbarer Größenordnung für PAD-Technologie genehmigt, ohne eine zusätzliche Genehmigung von Herrn Dr. E. zu benötigen. Hierauf hat die Beklagte erwidert, der Kläger beziehe sich offenbar auf Bestellungen von Verbrauchs- und Büromaterial, das über das Kommerzialisierungsprojekt hinaus von der Abteilung genutzt werde. Die Beklagte differenziert damit danach, ob Anschaffungen ausschließlich für das Kommerzialisierungsprojekt oder auch für die übrigen Aufgaben der Abteilung genutzt werden. Eine solche Differenzierung kann im Einzelfall schwierig sein und schon deshalb hätte der Kläger vor Ausspruch einer Kündigung klar darauf hingewiesen werden müssen, in welchen konkreten Fällen eine fachliche Genehmigung ohne Vorabgenehmigung als pflichtwidrig angesehen wird.

Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass die Kündigung auch dann einer Interessenabwägung nicht standhalten würde, wenn man annehmen würde, der Kläger sei bereits einschlägig abgemahnt worden. Zu Lasten des Klägers könnte weder eine besondere Hartnäckigkeit noch das Gewicht einer Pflichtverletzung berücksichtigt werden. Außerdem stellt schon das Prinzip zweier unabhängiger Unterschriften in der Richtlinie für die Unterschriftsberechtigung sicher, dass es regelmäßig keine eigenmächtigen Bestellungen geben kann. Auch im Hinblick auf die vorgetragenen Belastungen des Arbeitsverhältnisses anlässlich der Vorfälle, die zu Abmahnungen geführt haben, führen die lange Betriebszugehörigkeit des Klägers, sein Alter und seine Unterhaltspflichten damit dazu, dass sein Interesse an einer Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Beendigungsinteresse der Beklagten überwiegt.

c) Da sich die Unwirksamkeit der Kündigung schon aus § 626 Abs. 1 BGB bzw. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ergibt, kann dahinstehen, ob der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört wurde.

Ebenso kann offen bleiben, ob sich die Unwirksamkeit der Kündigung aus weiteren Umständen, die der Kläger vorträgt, ergibt.

2. Wegen der Unwirksamkeit der Kündigung hat der Kläger einen Weiterbeschäftigungsanspruch. Nach dem vorliegenden, der Kündigungsschutzklage stattgebenden Urteil, überwiegt nämlich das Interesse des Klägers an seiner Beschäftigung das gegenteilige Interesse der Beklagten, sich auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Kündigung zu berufen.

3. Die geltend gemachten Zahlungsansprüche sind im Wesentlichen begründet.

Durch die unwirksame Kündigung ist die Beklagte in Annahmeverzug geraten und damit verpflichtet, auch ohne Arbeitsleistung die vereinbarte Vergütung zu zahlen (§ 615 BGB). Unbestritten (§ 138 Abs. 3 ZPO) steht dem Kläger ein monatliches Fixgehalt in Höhe von € 6.779,-- sowie ein Zuschuss zur privaten Krankenversicherung in Höhe von € 102,26 zu. Hieraus ergeben sich die für die Monate September 2009 bis August 2010 zugesprochenen Vergütungsansprüche.

Für September bis November 2009 ist Arbeitslosengeld in Höhe von € 6.608,42 abzuziehen (91 Tage à € 77,62; siehe Bewilligungsbescheid Bl. 168 ff d.A.). Für die Zeit ab Dezember 2009 bringt der Kläger zu Recht seinen Gründungszuschuss zum Abzug. Es ist davon auszugehen, dass der vom Kläger angegebene Abzugsbetrag für den Gründungszuschuss zutrifft. Der Kläger hat nämlich die Auskunft erteilt, dass darin ein monatlicher sozialer Ausgleich von € 300,-- enthalten ist. Einen höheren Abzugsbetrag hat die Beklagte weder substantiiert dargelegt noch unter Beweis gestellt.

Die von der Bundesagentur geleisteten Sozialversicherungsbeiträge sind nicht abzuziehen (BAG vom 24.9.2003 – 5 AZR 208/02 – NZA 2003, 1332). Eventuell von der Agentur für Arbeit zuviel geleistete Sozialversicherungsbeiträge sind ihr nämlich von den anderen Sozialversicherungsträgern direkt zu erstatten. Sie entlasten den Arbeitgeber nicht.

Der Anspruch des Klägers auf die restliche variable Vergütung für August und September 2009 beträgt nach der Berechnung der Beklagten im Schriftsatz vom 22.9.2010 € 4.453,16 brutto. Der Kläger hat hierzu nicht mehr Stellung genommen, so dass davon auszugehen ist, dass die Berechnung der Beklagten zutrifft.

Unbestritten hat die Beklagte bei der Auszahlung im Juli 2010 einen Betrag in Höhe von € 1.981,55 einbehalten.

Die Klage ist bezüglich der Zinsen nur teilweise unbegründet. Die Beklagte ist für die Monate September 2009 bis März 2010 nicht mit der gesamten Vergütung in Verzug geraten, sondern nur mit der Differenz zwischen den Gehaltsansprüchen des Klägers und dem Arbeitslosengeld bzw. dem Gründungszuschuss.


IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO.

Die Zuvielforderung des Klägers ist nur geringfügig und hat keine zusätzlichen Kosten veranlasst.


V.

Dieses Urteil ist unanfechtbar, denn es gibt keinen Grund, für eine oder für beide Parteien die Revision zuzulassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

Auf § 72 a ArbGG (Nichtzulassungsbeschwerde) wird hingewiesen.

Waitz Dawid Zahn
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