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StGB (Stand 31.12.2012)
Strafgesetzbuch
§ 32 Notwehr (Regelung seit 01.01.1999)
(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.
A) Prüfungsaufbau:
1. Notwehrlage (= Handlungsvoraussetzung)
Dann müsste zunächst eine Notwehrlage gegeben sein, d. h. ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff.
1.1. Angriff
Angriff ist jede Bedrohung rechtlich geschützter Interessen durch menschliches Verhalten. Hierbei ist es egal, ob der Notwehrende selbst oder ein anderer angegriffen wird.
1.2. Gegenwärtigkeit
Gegenwärtig ist jeder Angriff, der unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch fortdauert.
1.3. Rechtswidrigkeit
Rechtswidrig ist jeder Angriff, der objektiv im Widerspruch zur Rechtsordnung steht.

2. Notwehrhandlung (= legitimes Mittel)
Der § 32  erlaubt eine Handlung in die Rechtssphäre eines anderen, allerdings nur in die des Angreifers.

Dieses Mittel muss aber auch noch in eine Zweck-Mittel-Relation zu dem Zweck gesetzt werden. Dies soll, laut StGB-Prof s, keine Verhältnismäßigkeitsprüfung wie im öffentlichen Recht sein, ist es aber doch; nur dass die Strafrechtler andere Begriffe verwenden und insbesondere bei der letzten Stufe ein differenzierter Maßstab anzulegen ist. Im Strafrecht heißt die Geeignetheit nur Erforderlichkeit, die Erforderlichkeit Angemessenheit und die Angemessenheit Gebotenheit, das ist nahezu der ganze Unterschied.

2.1. Erforderlichkeit (Ö-Recht: Geeignetheit)
Die Notwehrhandlung muss erforderlich sein. Dies ist dann der Fall, wenn die Verteidigung zur Abwehr geeignet ist.
2.2. Angemessenheit oder relativ mildestes Mittel (Ö-Recht: Erforderlichkeit)
Des Weiteren muss der Täter das relativ mildeste Mittel angewendet haben. Hier ist der Tritt vor´s Knie das relativ mildeste Mittel.
2.3 Gebotenheit (Ö-Recht: Angemessenheit oder Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne)
Diese ist bei der Notwehr nahezu immer gegeben; nur in Fällen, wo die Beeinträchtigung der Rechtsgüter des Angreifers außer jedem Verhältnis zur Gefahr für die Rechtsgüter des Verteidigers stehen, muss dieser den Angriff dulden (Behinderter kann den Kirschendiebstahl 6-jähriger Kinder nur durch Erschießen der Kinder verhindern - das wäre nicht mehr geboten).
Eine Einschränkung findet sie z.B. bei einem Angriff von erkennbar schuldlos Handelnden, bei der Absichtsprovokation (s.u.) oder bei einem krassen Missverhältnis zwischen verteidigtem und verletztem Rechtsgut (A erschießt B, der einige Kirschen gestohlen hat).

3. Verteidigungswille
Neben den objektiven Voraussetzungen ist hier auch noch das subjektive Element, der Verteidigungswille, erforderlich.
Merke: § 32 rechtfertigt auch ein Verhalten, mit dem der Verteidiger einen Angriff von einem anderen abwenden will (Nothilfe gem. § 32 II 2. Fall). Hier gelten die oben genannten Voraussetzungen ebenfalls.

B) Probleme:
I. Irrtum über die tatbestandlichen Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes, der Erlaubnistatbestandsirrtum
Der Täter hält irrig Umstände für gegeben, die im Fall ihres tatsächlichen Vorliegens die tatbestandlichen Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes erfüllen würden, z.B. nimmt der Täter irrig einen Sachverhalt an, bei dessen Vorliegen er nach § 32 gerechtfertigt wäre, er irrt sich über die Notwehrlage (Putativnotwehr).

Fallbeispiel: A rettet den C vor dem Ertrinken und will ihn wiederbeleben. B sieht das, denkt, C würde überfallen und schlägt A nieder.

Der einem Erlaubnistatbestandsirrtum erliegende Täter handelt nicht in dem Bewusstsein, Unrecht zu tun, also möglicherweise schuldlos. Daher ist ein Lösungsansatz dieser Problematik, den Erlaubnistatbestandsirrtum im Rahmen der Schuld zu prüfen.
Die Einordnung des Erlaubnistatbestandsirrtums ist umstritten. Gegenstand der Streitigkeit zwischen den einzelnen, im Folgenden genannten Theorien ist in erster Linie die deliktsdogmatische Einordnung des Unrechtsbewusstseins (eine Ausnahme stellt insofern die teilweise der eingeschränkten Schuldtheorie zugerechnete Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen dar).

1. Vorsatztheorien
Die Vorsatztheorien haben gemeinsam, dass das Unrechtsbewusstsein vom Vorsatz umfasst sein muss, d. h. der Täter muss neben der Kenntnis der Tatbestandsmerkmale auch die Kenntnis haben Unrecht zu tun. Fehlt dem Täter daher das Unrechtsbewusstsein, kann er nicht wegen einer Vorsatztat bestraft werden, es würde allenfalls eine Bestrafung wegen Fahrlässigkeit in Betracht kommen.

Danach handelt der Täter unvorsätzlich gem. § 16 I 1, so dass eine Strafbarkeit in dem oben genannten Fallbeispiel nach § 223 nicht in Betracht kommt.
(Diese Theorie lässt jedoch bei allen Irrtümern den Vorsatz entfallen, dies ist nicht mit § 17 vereinbar. Auch lässt sie Zweifel in Bezug auf den Prüfungsstandort aufkommen, denn genau genommen müsste man diese Vorsatztheorien im subjektiven Tatbestand und nicht in der Schuld prüfen).

2. Schuldtheorien
In den Schuldtheorien ist die rechtliche Einordnung des Irrtums über die Rechtfertigungsgründe ebenfalls umstritten.
2.1. Strenge Schuldtheorie
Die strenge Schuldtheorie behandelt den Erlaubnistatbestandsirrtum wie den Erlaubnis- bzw. Verbotsirrtum und wendet ausschließlich den § 17 an.
Demnach ist hier zu fragen, ob der Irrtum des Täters gem. § 17 S.1 unvermeidbar war. Dazu ist erforderlich, dass der Täter auch bei gehöriger Gewissensanspannung nicht hätte erkennen können, dass kein Angriff vorliegt. Das Maß richtet sich nach den Umständen des Falles. Bei Unvermeindbarkeit des Irrtums handelt der Täter gem. § 17 S.1 ohne Schuld. Ist der Irrtum hingegen vermeidbar (wie es meistens der Fall sein wird), so kann die Strafe gem. § 49 I gemildert werden (§ 17 S.2).

2.2. Eingeschränkte Schuldtheorie
Die eingeschränkte Schuldtheorie behandelt den Erlaubnistatbestandsirrtum nach dem § 16 I. Es besteht insoweit Einigkeit, dass eine Bestrafung wegen vorsätzlicher Straftat nicht in Betracht kommt, sondern dem Täter allenfalls ein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden kann, da der Täter sich grundsätzlich rechtstreu verhalten will.
Es ist jedoch unter dogmatischen Gesichtspunkten umstritten wie dieses Ergebnis erlangt wird.

2.2.1. Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen
Hiernach handelt es sich bei den Rechtfertigungsgründen um Tatbestandsmerkmale eines sog. Gesamtrechttatbestandes. Die Vertreter dieser Theorie gehen also von einem zweigliedrigen Deliktsaufbau aus. Da jedoch schon aus § 32 ersichtlich ist, der von Rechtswidrigkeit spricht, dass von einem dreistufigen Deliktsaufbau auszugehen ist, ist dieser Theorie nicht zu folgen.

2.2.2. Lehre vom Ausschluss des Vorsatzunrechts
Die Vertreter dieser Lehre wenden § 16 I analog an und lassen den Vorsatz entfallen. Nach dieser Theorie würde man aber unbillige Strafbarkeitslücken im Teilnahmebereich erhalten, da hier eine vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat vorausgesetzt wird.

2.2.3. Rechtsfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie (h. L.)
Auch hier wird § 16 I analog angewendet. Diese Theorie lässt jedoch nur den Vorsatzschuldvorwurf entfallen.
Für diese Theorie sprechen insbesondere rechtspolitische Erwägungen. Hiernach bleibt die Tat nach den Grundsätzen der limitierten Akzessorietät teilnahmefähig. Denn ansonsten würde der Teilnehmer, der den Irrtum nicht aufweist, über den Einheitstäterbegriff nur als Fahrlässigkeitstäter und damit schuldunangemessen bestraft werden können. Des Weiteren würde ein Vorsatzausschluss insofern auch inkonsequent sein, da er im Rahmen des subjektiven Tatbestandes bereits bejaht wurde und vorliegend nur die Schuld des Täters in Frage steht.

Anmerkung: Beachte bei der Prüfung, dass bei Einschlägigkeit des Erlaubnistatbestandsirrtum noch das Fahrlässigkeitsdelikt zu prüfen ist. Dies vergessen häufig einige Studenten. § 16 I S. 2, die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Begehung bleibt unberührt.

2. Irrige Annahme eines nicht existenten oder Ãœberdehnung der rechtlichen Grenzen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes
Fallbeispiel: A schlägt den Sohn seines Nachbarn, da er ihm zu viel Lärm macht. Er geht davon aus, dass er ein Züchtigungsrecht hat.
Dies ist ein Fall des indirekten Verbotsirrtums (Erlaubnisirrtum) und wird nach § 17 geprüft.

3. Notwehrprovokation
Hiermit sind die Fälle gemeint, in denen der Verteidiger den Angriff veranlasst hat. Bei dieser Fallproblematik wird überwiegend die Möglichkeit einer Einschränkung des Notwehrrechts diskutiert. Dabei streiten verschiedene Ansichten über die Kriterien und das Ausmaß der Einschränkung.

Die wohl herrschende Meinung versagt bei der Absichtsprovokation dem Angegriffenen unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs das Notwehrrecht (Roxin AT 15/16 ff., BGH 1983, S. 2267).

Eine andere Ansicht schränkt die Einschränkung des Notwehrrechts ein (BGH 1983, S. 2267). Sie beurteilen die Fälle danach, ob der Verteidiger ausweichen kann oder nicht. Sollte diese Möglichkeit bestehen, so muss er auch ausweichen. Er darf also erst dann zur Trutzwehr übergehen, nachdem er alle Möglichkeiten der Schutzwehr ausgeschöpft hat.

Es gibt jedoch auch die Fälle der fahrlässigen Provokation. Nach einer anderen Ansicht kommt in den Fällen der unbeabsichtigten Notwehrprovokation eine Einschränkung des Notwehrrechtsgenerell nicht in Betracht, da solche Fälle mit zu großen Unsicherheiten behaftet sind und die Notwehr ihre Berechenbarkeit verlieren würde (Spendel in LK, § 22 Rn. 193).

Zu einem anderen Ergebnis könnte die Rechtsfigur der actio illicita in causa kommen. Nach dieser Lehre ist der Täter zwar für seine Notwehrhandlung gerechtfertigt. Ihm wird jedoch ein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht, da er die Notwehrlage voraussehbar herbeigeführt hat. Hierbei wird die Strafbarkeit an die vorangegangene Provokation angeknüpft (Wessels/Beulke Rn. 348).

Anregungen nehmen die Autoren gerne entgegen.
Urteile nach 30.11.2000, also nach Abschluss dieser Kommentierung