Mi, 15. Mai 2024, 05:17    |  Login:  User Passwort    Anmelden    Passwort vergessen
ARBEITSPLATTFORM NEWS URTEILE GESETZE/VO KOMMENTARE SITEINFO/IMPRESSUM NEWSLETTER
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
§ 857 Vererblichkeit (Regelung seit 01.01.2002)
Der Besitz geht auf den Erben über.
Johanna Knapp
 (Student)
91056
 Erlangen
 (Deutschland)


Stand: 24.07.2005
Co-Kommentatoren
1. Allgemeines
Mit dem Erbfall tritt der Erbe gem. § 1922 BGB in die Rechtsstellung des Erblassers ein, also auch in eventuelle Besitzrechte. Die tatsächliche Sachherrschaft des Erblassers endet zwangsläufig mit seinem Tode, wobei „Besitzübergang“ nicht bedeutet, dass die Sachherrschaft an den Erben oder die Erbengemeinschaft übergeht.
Vielmehr schützt § 857 BGB die besitzrechtliche Stellung des Erben und trägt dazu bei, dass der Erbe den Nachlass möglichst vollständig und frei von Eingriffen erhält.

2. Der Erbenbesitz und seine Besonderheiten
§ 857 BGB begründet den sog. Erbenbesitz.
2.1. Abzugrenzen ist der Erbenbesitz des § 857 BGB vom sog. Erbschaftsbesitz des § 2018 BGB .
Erbschaftsbesitz iSd § 2018 BGB liegt vor, wenn jemand etwas aus einer ihm nicht zustehenden Erbschaft erlangt. Der wahre Erbe hat dann Herausgabeansprüche nach § 2018, 2025 BGB und Schadensersatzansprüche nach Deliktsrecht.
Demgegenüber meint der Erbenbesitz des § 857 BGB die Nachfolge in die Besitzstellung des Erblassers.
2.2. Der Erbenbesitz des § 857 BGB begründet keine unmittelbare Sachherrschaft iSv § 854 BGB und setzt diese auch nicht voraus. Vielmehr wird die Nachfolge in die Besitzstellung des Erblassers begründet, um zu verhindern, dass die zum Nachlass gehörenden Sache keinem Besitzschutz mehr unterliegt. Andernfalls könnte sie z.B. nicht abhanden kommen (§ 935 BGB) und demzufolge gutgläubig erworben werden.
Der Erbenbesitz erfordert keine Ergreifung der Sachherrschaft. Erfolgt diese, führt dies zu einer Besitzbegründung nach § 854 BGB. Ebenfalls erfordert der Erbenbesitz keinen Besitzwillen, nicht einmal die bloße Kenntnis von der Existenz der Sache. Der Erbenbesitz wird daher wohl einhellig als Besitz ohne Sachherrschaft bezeichnet.
2.3. Aus § 857 BGB lassen sich zwei Voraussetzungen der Rechtsfolge „Übergang des Besitzes auf den Erben“ ausmachen:
a) Erstens muss der Erblassers im Zeitpunkt des Erbfalls tatsächlich Besitzer der Sache gewesen sein. Dabei ist es egal, welche Art von Besitz der Erblasser innehatte und ob der Erblasser ein Recht zum Besitz hat bzw. ob dieses über seinen Tod hinaus bestand hat.
Hatte der Erblasser allerdings die tatsächliche Sachherrschaft im Zeitpunkt des Erbfalls verloren, kommt ein Übergang nach §857 BGB nicht mehr in Betracht. Hier geht mit dem Erbfall gem. § 1922 BGB der Anspruch des Erblassers nach § 861 BGB auf den Erben über.
b) Des weiteren muss derjenige, der die Rechte aus dem Besitz nach dem Erbfall geltend machen will, wahrer Erbe sein. Maßgeblich ist die Erbenstellung nach den §§ 1922 BGB ff., die sich auch erst später aufgrund von Rückwirkungen ergeben kann (z.B. durch Erbausschlagung oder Anfechtung der Erbannahme durch den zunächst berufenen Erben).
Nicht erforderlich für den Erbenbesitz ist, dass der Erbe tatsächlich die Sachherrschaft im Sinne von § 854 BGB ergreift. Tut er dies allerdings, wird nach § 854 BGB Besitz erlangt und man ist auf § 857 BGB nicht mehr angewiesen. Ebenfalls muss sich der Erbe seiner Erbenstellung nicht bewusst sein oder den Besitz des Erblassers oder einen Besitz- bzw. Besitzerwerbswillen kennen.
2.4. Nach § 857 BGB geht also die Besitzstellung des Erblassers genau so auf den Erben über, wie sie vor dem Erbfall war. Der Erbe erlangt damit nach § 857 BGB die Art von Besitz, die der Erblasser innehatte (unmittelbaren/ mittelbaren, Fremd-/ Eigen-/ Teil- oder Voll-, Allein-/ Mit-, berechtigten/unberechtigten Besitz). Mitglieder einer Erbengemeinschaft erlangen entsprechenden einfachen Mitbesitz iSv § 866 BGB. Besitzdiener des Erblassers werden zu Besitzdienern des Erben.
Aus § 857 BGB lässt sich nicht schließen, ob auch die Bösgläubigkeit des Erblassers auf den Erben „übergeht“; besitzschutzrechtlich beschäftigt sich damit § 858 II, der eine Ersitzung durch den gutgläubigen Erben ab Besitzergreifung nicht ausschließt.
Im Sinne des § 857 BGB erlangt der Erbe mit dem Übergang der Besitzstellung alle Vorteile, die an den Besitz anknüpfen ( z.B. den Schutz nach den §§ 859 ff. BGB, die Eigentumsvermutung des § 1006 BGB oder über das Abhandenkommen der §§ 935, 1007 BGB). Allerdings haftet der Erbe auch als Besitzer (z.B. nach §§ 836, 985 BGB).
Besaß der Erblasser fehlerhaft, besitzt auch der Erbe, der den Besitz als solchen erwirbt, fehlerhaft, § 858 II S. 2, 1. Alt. BGB, auch wenn der Erbe bei Ergreifung der tatsächlichen Sachherrschaft, nach § 854 BGB, gutgläubig ist, da § 858 II S. 2 BGB eine Heilung der Bösgläubigkeit nicht vorsieht. Erwirbt der Erbe den Besitz bereits zu Lebzeiten des Erblassers, ist § 858 II S. 2, 2. Alt. BGB anzuwenden, da die Besitznachfolge dann nicht aus § 857 BGB folgt.
Bei mittelbaren Besitz wird § 857 BGB grundsätzlich nicht angewandt, da der mittelbare Besitz unter Lebenden durch Abtretung des Herausgabeanspruchs gegen den Besitzmittler übertragen werden kann; d.h. der Besitz geht bereits nach § 1922 BGB auf den Erben über.
Hinsichtlich des unmittelbaren Besitzes greift § 857 BGB.
2.5. Der Erbe kann den Erbenbesitz analog § 856 beenden. Ebenfalls endet der Erbenbesitz, wenn der Erbe die tatsächliche Sachherrschaft ergreift.

3. Sonderregelungen und Sonderfälle
Sonderregelungen gibt es im BGB nicht, wohl aber in anderen Rechtsgebieten. Im Zivilrecht gibt es jedoch Konstellationen, die abweichend von § 857 BGB zu behandeln sind.
3.1. § 2366 BGB hat gegenüber § 857 BGB zugunsten desjenigen Vorrang, der vom Veräußerer erwirbt, der durch den Erbschein legitimiert ist.
Es fehlt an einem Abhandenkommen, wenn der zunächst als Erbe berufene eine Sache an sich nimmt und seine Erbenstellung danach (z.B. Ausschlagung nach § 1953 BGB, Anfechtung der Annahme gem. § 1957 BGB, Testamentsanfechtung iSd §§ 2078 f. BGB und Erbunwürdigkeitserklärung gem. § 2344 BGB) wieder verliert. Dieser „vorläufige Erbe“ hat dann nach § 857 BGB (eventuell aber nach § 854 BGB) niemals Besitz erlangt.
Ein Scheinerben (z.B. durch ein widerrufenes Testament) ist davon nicht betroffen; wenn er Besitz ergreift, stellt dies verbotene Eigenmacht dar (§ 2025 BGB) und führt zu einem Abhandenkommen beim wahren Erben.
3.2. Bei einer Nacherbschaft (§ 2100 BGB) gilt folgendes: § 857 BGB greift zunächst zugunsten des Vorerben ein. Dessen Erbenbesitz geht nach § 857 BGB auf den Nacherben über (gleiches gilt wegen § 1922 BGB für mittelbaren Besitz). Hat der Vorerbe die tatsächliche Sachherrschaft erlangt und seinen Erbenbesitz damit beendet, geht der Besitz des Vorerben gemäß § 857 BGB auf seinen Erben, und nicht auf den Nacherben; über. Anders soll es sich verhalten, wenn der Vorerbe den Nachlass getrennt verwaltet hat.
3.3. Im öffentlichen Recht finden sich ähnliche Vorschriften in den Fällen einer Besitzeinweisung (z.B. §§ 4 AEG, 29a PBefG, 117 Abs. 6, 72 Abs. 2, 116 Abs. 3, 77 Abs. 3 BauGB, 18 f. Abs. 4 BFStrG, 66 FlurbG), die ebenfalls einen Besitzübergang bewirken. Aufgrund des „tatsächlichen Sachherrschaft“ -begriffs ist § 857 BGB für das Strafrecht ohne Bedeutung

4.Entsprechende Anwendbarkeit
§ 857 BGB findet entsprechende Anwendung auf andere Fälle der Gesamtrechtsnachfolge (z.B. Umwandlungen nach dem UmwG, Anfall von Vereins- oder Stiftungsvermögen an den Fiskus nach §§ 46, 88 BGB). Bei Verwaltungsrecht bzw. Besitzerwerb von Insolvenz- und Nachlassverwaltern bzw. Testamentsvollstreckern kommt eine entsprechende Anwendung des § 857 BGB nicht in Betracht, da es an einem entsprechenden Bedürfnis fehlt: der Besitz geht zwar nach § 857 BGB auf den Erben über, die Insolvenzeröffnung lässt den Besitz des Schuldners allerdings unberührt (vgl. §§ 81, 82 InsO) und der Verwalter hat ein Recht zur Besitzergreifung( vgl. §§ 148 Abs. 1 InsO, 1985 Abs. 1, 2205 Abs. 1 S. 2 BGB).

5. Beweislast
Wessen Besitz auf § 857 zurückgeht, trägt die Beweislast. Er muss folglich den Besitz des Erblassers, den Erbfall und seine Erbenstellung nachweisen.