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AGG
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
§ 20 Zulässige unterschiedliche Behandlung (Regelung seit 18.08.2006 gültig bis vor 12.12.2006, bitte hier klicken zur Änderung)
(1) Eine Verletzung des Benachteiligungsverbots ist nicht gegeben, wenn für eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Identität oder des Geschlechts ein sachlicher Grund vorliegt.

Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die unterschiedliche Behandlung

1. der Vermeidung von Gefahren, der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art dient,

2. dem Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit Rechnung trägt,

3. besondere Vorteile gewährt und ein Interesse an der Durchsetzung der Gleichbehandlung fehlt,

4. an die Religion eines Menschen anknüpft und im Hinblick auf die Ausübung der Religionsfreiheit oder auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, der ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform sowie der Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion zur Aufgabe machen, unter Beachtung des jeweiligen Selbstverständnisses gerechtfertigt ist.

(2) Eine unterschiedliche Behandlung wegen des Geschlechts ist im Falle des § 19 Abs. 1 Nr. 2 bei den Prämien oder Leistungen nur zulässig, wenn dessen Berücksichtigung bei einer auf relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruhenden Risikobewertung ein bestimmender Faktor ist. Kosten im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft dürfen auf keinen Fall zu unterschiedlichen Prämien oder Leistungen führen. Eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität ist im Falle des § 19 Abs. 1 Nr. 2 nur zulässig, wenn diese auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruht, insbesondere auf einer versicherungsmathematisch ermittelten Risikobewertung unter Heranziehung statistischer Erhebungen.
Zum Gesetzesentwurf
!!IN ENTSTEHUNG!!

(Ergänzungen zum Originaltext sind blau!)


A. Auszug aus Entwurf BT-Drucksache 16/1780:


Entwurf der Bundesregierung

1. Vorschlag:


§ 20 Zulässige unterschiedliche Behandlung

(1) Eine Verletzung des Benachteiligungsverbots ist nicht gegeben, wenn für eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Identität oder des Geschlechts ein sachlicher Grund vorliegt. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die unterschiedliche Behandlung

1. der Vermeidung von Gefahren, der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art dient,

2. dem Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit Rechnung trägt,

3. besondere Vorteile gewährt und ein Interesse an der Durchsetzung der Gleichbehandlung fehlt,

4. an die Religion oder Weltanschauung eines Menschen anknüpft und im Hinblick auf die Ausübung der Religions- oder Weltanschauungsfreiheit oder auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, der ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform sowie der Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, unter Beachtung des jeweiligen Selbstverständnisses gerechtfertigt ist.

(2) Eine unterschiedliche Behandlung wegen des Geschlechts ist im Falle des § 19 Abs. 1 Nr. 2 bei den Prämien oder Leistungen nur zulässig, wenn dessen Berücksichtigung bei einer auf relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruhenden Risikobewertung ein bestimmender Faktor ist. Kosten im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft dürfen auf keinen Fall zu unterschiedlichen Prämien oder Leistungen führen. Eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität ist im Falle des § 19 Abs. 1 Nr. 2 nur zulässig, wenn diese auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruht, insbesondere auf einer versicherungsmathematisch ermittelten Risikobewertung unter Heranziehung statistischer Erhebungen.



2. Begründung:


20 (Zulässige unterschiedliche Behandlung)

§ 20 regelt, in welchen Fällen eine unterschiedliche Behandlung wegen einer Behinderung, der Religion oder Weltanschauung, des Alters, der sexuellen Identität oder des Geschlechts, die den Tatbestand des § 19 Abs. 1 erfüllt, gleichwohl zulässig ist. Eine Verletzung des Benachteiligungsverbotes liegt dann nicht vor. Die Norm ist als Rechtfertigungsgrund ausgestaltet. Der Anbieter muss also nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen die Zulässigkeit der unterschiedlichen Behandlung darlegen und beweisen. Bei einer mittelbaren Benachteiligung (§ 3 Abs. 2) sind Fragen der zulässigen Ungleichbehandlung bereits auf Tatbestandsebene zu entscheiden; es werden also viele in § 20 geregelte Fragen bereits an dieser Stelle (und nicht erst auf der Ebene der Rechtfertigung) zu prüfen sein. Unberührt von alledem bleibt das Benachteiligungsverbot des § 19 Abs. 2, das der Umsetzung der Antirassismusrichtlinie 2000/43/EG dient, denn in dieser Richtlinie sind entsprechende Rechtfertigungsgründe nicht vorgesehen.

Satz 1 enthält den Grundsatz, wonach Unterscheidungen zulässig sind, für die ein sachlicher Grund vorliegt. Dieser Rechtfertigungsgrund ist erforderlich, weil bei den genannten Merkmalen – anders als bei Unterscheidungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft – Differenzierungen im allgemeinen Zivilrecht oft akzeptiert oder sogar höchst erwünscht sind. Beispielhaft erwähnt seien hier nur Preisrabatte für Schülerinnen und Schüler oder für Studierende oder gesonderte Öffnungszeiten für Frauen in Schwimmbädern. Andere Unterscheidungen werden von den Betroffenen zwar subjektiv als diskriminierend empfunden, dienen objektiv aber notwendigen Zwecken, etwa der Einhaltung von Verkehrssicherungspflichten und damit der Schadensverhütung. All diese Unterscheidungen können und sollen weiterhin möglich sein; denn hierbei handelt es sich nicht um Diskriminierungen, also sozial verwerfliche Unterscheidungen. Satz 1 dient damit auch der Umsetzung von Artikel 4 Abs. 5 der Gleichbehandlungsrichtlinie wegen de
s Geschlechts außerhalb der Arbeitswelt 2004/113/EG, wonach es gerechtfertigt sein kann, Güter und Dienstleistungen ausschließlich oder vorwiegend für die Angehörigen eines Geschlechts bereitzustellen.

Die Feststellung eines sachlichen Grundes bedarf einer wertenden Feststellung im Einzelfall nach den Grundsätzen von Treu und Glauben und entzieht sich wegen der Reichweite des allgemeinen zivilrechtlichen Benachteiligungsverbotes einer abschließenden näheren Konkretisierung. Die sachlichen Gründe können sich zunächst aus dem Charakter des Schuldverhältnisses ergeben. Es können Umstände sein, die aus der Sphäre desjenigen stammen, der die Unterscheidung trifft, oder aber aus der Sphäre desjenigen, der von der Unterscheidung betroffen ist.

Das Erfordernis einer Abwägung im Einzelfall kommt auch im bereits erwähnten Rechtfertigungsgrund des Artikels 4 Abs. 5 der Richtlinie 2004/113/EG zum Ausdruck. Der Erwägungsgrund 17 dieser Richtlinie stellt darüber hinaus klar, dass beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen die jeweiligen Möglichkeiten nicht in jedem Fall gleichermaßen geboten werden müssen, sofern dabei nicht Angehörige des einen Geschlechts besser gestellt sind als die des anderen. Es ist also sachlich gerechtfertigt, Waren und Dienstleistungen geschlechtspezifisch anzubieten, sofern dies sachlichen Kriterien Rechnung trägt. Ein weiteres Beispiel sind etwa Sportveranstaltungen, die nur Angehörigen eines Geschlechts zugänglich sind (siehe Erwägungsgrund 16 der Richtlinie 2004/113/EG).

In der Praxis werden meist die Regelbeispiele in Nummer 1 bis 4 einschlägig sein, die – nicht abschließend – die wichtigsten Fallgruppen umreißen und zugleich eine Richtschnur für die Auslegung des Grundtatbestandes geben können.

Nummer 1 rechtfertigt eine unterschiedliche Behandlung, die der Vermeidung von Gefahren, der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art dient. Zweck der Vorschrift ist vor allem die Notwendigkeit, bei Massengeschäften die Beachtung von Verkehrssicherungspflichten durchzusetzen. So kann es z. B. in Freizeitparks erforderlich sein, den Zugang zu Fahrgeschäften für Menschen mit einer körperlichen Behinderung zu beschränken oder aber auf einer Begleitperson zu bestehen. Ein weiteres Beispiel ist der Schutz von Opfern sexueller Gewalt durch Einrichtungen, die nur Angehörigen eines Geschlechts Zuflucht bieten (siehe Erwägungsgrund 16 der Richtlinie 2004/113/EG).

Der Vermeidung von Gefahren, der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art kann die unterschiedliche Behandlung regelmäßig nur dienen, wenn sie zur Zweckerreichung grundsätzlich geeignet und erforderlich ist. Willkürliche Anforderungen sind deshalb von Nummer 1 nicht gedeckt. Dem Anbieter steht hierbei allerdings ein gewisser Spielraum zur Verfügung. Das ist zum einen deshalb erforderlich, weil etwa eine vorbeugende Schadensverhütung zwangsläufig auf Prognosen beruht, die mit Unsicherheiten behaftet ist. Zum anderen kann bei der Abwicklung von Massengeschäften auf eine Standardisierung nicht verzichtet werden. So kann es etwa gerechtfertigt sein, den Zugang zu risikobehafteten Leistungen (z. B. Ausübung gefährlicher Sportarten in einer privaten Anlage) erst Kunden ab 18 Jahren zu erlauben.

Nummer 2 trägt der Tatsache Rechnung, dass es insbesondere Unterscheidungen nach dem Geschlecht gibt, die auf das Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit reagieren. Strukturell ähnelt der Rechtfertigungsgrund einer positiven Maßnahme (§ 4). Maßnahmen dieser Art – wie etwa getrennte Öffnungszeiten in Schwimmbädern und Saunen, die Bereithaltung von Frauenparkplätzen sind sozial erwünscht und gesellschaftlich weithin akzeptiert.

Die Vorschrift rechtfertigt Unterscheidungen nur dann, wenn sie aus nachvollziehbaren Gründen erfolgen. So sind Frauen generell einer größeren Gefahr als Männer ausgesetzt, Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu werden. Es kann deshalb gerechtfertigt sein, in Parkhäusern Frauenparkplätze zur Verfügung zu stellen, auch wenn sich im Einzelfall nicht nachweisen lassen sollte, dass besondere Gefahren drohen, etwa bei einem beleuchteten Parkplatz in einem sicheren Einkaufcenter. Nicht jedes subjektive Sicherheitsbedürfnis reicht jedoch zur Rechtfertigung einer Unterscheidung aus. Wenngleich keine Bedrohungslage nachgewiesen werden muss, ist es doch nötig, dass einem verständlichen Sicherheitsbedürfnis Rechnung getragen werden soll. Eine beispielsweise auf Xenophobie beruhende pauschale Angst vor „dem Islam“ oder „den Juden“ kann daher eine Ungleichbehandlung nach dem Merkmal der Religion nicht rechtfertigen.

Nummer 3 erfasst diejenigen Fälle, in denen Personen wegen einer Behinderung, der Religion oder Weltanschauung, des Alters, der sexuellen Identität oder des Geschlechts ein besonderer Vorteil gewährt wird. Mit dieser Bevorzugung – meist wird es sich um Preisnachlässe oder andere Sonderkonditionen bei der Anbahnung, Durchführung oder Beendigung von Massengeschäften handeln – ist notwendigerweise eine Benachteiligung aller anderen verbunden.

Hier besteht kein Anlass, den Grundsatz der Gleichbehandlung durchzusetzen. Die gewährten Vergünstigungen reagieren nämlich entweder darauf, dass bestimmte Gruppen typischerweise weniger leistungsfähig sind: Rabatte für Schüler und Studenten etwa sind damit zu begründen, dass sie meist nicht über ein Erwerbseinkommen verfügen. Oder aber die Vergünstigungen bezwecken die gezielte Ansprache von Kundenkreisen, die der Anbieter anlocken möchte. Diese Maßnahmen sind also nicht diskriminierend, sondern im Gegenteil sozial erwünscht bzw. Bestandteil einer auf Wettbewerb beruhenden Wirtschaft. Ein Verbot dieser Praktiken würde auch den objektiv benachteiligten Personenkreisen nicht helfen, denn der Anbieter würde nicht mit der Erstreckung der Vorteile auf alle Kunden reagieren, sondern mit dem Verzicht auf jegliche Vergünstigung.

Anders ist es, wenn die Gewährung gezielter Vorteile dazu dient, eine diskriminierende Verhaltensweise bei Massengeschäften nur zu tarnen. Das wäre etwa bei einer Preisgestaltung denkbar, bei der das regulär geforderte Entgelt weit über dem Marktpreis liegt, so dass es dem Anbietenden im Ergebnis nur darum geht, den Kundenkreis auf diejenigen Personen zu beschränken, die Adressaten der „besonderen Vorteile“ (tatsächlich aber des Normalpreises) sind. Die Voraussetzungen von Nummer 3 sind hier nicht gegeben, weil hier ein Interesse besteht, diese Ungleichbehandlung zu unterbinden.

Nummer 4 regelt die zulässige unterschiedliche Behandlung, die an die (tatsächliche oder ihm zugeschriebene) Religion oder Weltanschauung des Benachteiligten anknüpft. Es geht hierbei meist um Fälle, bei denen die unterschiedliche Behandlung auf religiösen oder weltanschaulichen Motiven des Benachteiligenden beruht.

Nimmt jemand in einer Weise am privaten Rechtsverkehr teil, die Ausdruck seiner religiösen Grundhaltung ist, so wird sein Handeln nicht nur durch die allgemeine Handlungsfreiheit nach Artikel 2 Abs. 1 GG, sondern auch durch seine Glaubensfreiheit, Artikel 4 Abs. 1 GG, geschützt. Übt der Gläubige einen Beruf aus, der die Einhaltung bestimmter religiöser Vorgaben fordert (etwa der islamische Metzger, der das Fleisch von Tieren verkaufen will, die nach islamischen Regeln geschlachtet worden sind), so wird sein Handeln von Artikel 12 Abs. 1 bzw. Artikel 2 Abs. 1 i. V. m. Artikel 4 Abs. 1 GG geschützt (vgl. BVerfGE 104, 337, 346 – „Schächten“). Dieselben Überlegungen gelten für weltanschaulich motiviertes Handeln.

Darüber hinaus ist zu beachten, dass Artikel 140 GG i. V. m. Artikel 137 Abs. 3 WRV den Religionsgemeinschaften und den ihnen zugeordneten Einrichtungen die Freiheit bei der Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze zusichert. Dasselbe gilt gemäß Artikel 140 GG i. V. m. Artikel 137 Abs. 7 WRV für Weltanschauungsgemeinschaften. Daher erfasst die Regelung nicht nur die Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften selbst, sondern auch die ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform, wenn die Einrichtungen der Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften nach deren Selbstverständnis ihrem Zweck und ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, ein Stück des Auftrags der Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft wahrzunehmen und zu erfüllen (vgl. BVerfGE 70, 138 (162); 57, 220 (242); 53, 366 (391); 46, 73 (85f.)). Dabei sind die Begriffe der Ordnung und Verwaltung weit auszulegen. Dazu gehören etwa karitative Tätigkeiten, das kirchliche Dienst- und Arbeitsrecht, aber auch die Verwaltung des eigenen Vermögens. Nimmt eine Kirche, eine ihr zugeordnete Einrichtung oder eine Weltanschauungsgemeinschaft am privaten Rechtsverkehr teil, ist zunächst zu beurteilen, ob die in Frage stehende Tätigkeit zu ihren eigenen Angelegenheiten gehört oder nicht. Dabei ist das dem Tun zugrunde liegende Selbstverständnis der Kirche oder Weltanschauungsgemeinschaft entscheidend. Ist das Rechtsgeschäft karitativer Natur, so liegt die Bejahung der eigenen Angelegenheit nahe. Ist von einer eigenen Angelegenheit auszugehen, so ist das kirchliche Selbstbestimmungsrecht zwar nur in den Schranken der für alle geltenden Gesetze gewährleistet. Darunter fallen aber nur die Gesetze, die für die jeweilige Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft dieselbe Bedeutung haben wie für jedermann (BVerfGE 66, 1, 20). Dabei kommt dem Selbstverständnis der Gemeinschaft wiederum besonderes Gewicht zu (BVerfGE 66, 1, 22).

Auch bei Nummer 4 handelt es sich um ein Regelbeispiel, das den Bereich des religiös oder weltanschaulich motivierten Handelns nicht abschließend normiert. Von dem Wortlaut des Regelbeispiels nicht erfasste sonstige religiös oder weltanschaulich motivierte Ungleichbehandlungen können daher im Einzelfall ebenfalls sachliche Gründe im Sinne des § 21 Satz 1 darstellen.

Dies bedeutet aber nicht, dass jedes religiöse oder weltanschauliche Motiv eine an sich nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz verbotene Differenzierung rechtfertigt. Artikel 4 Abs. 1 GG schützt das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und dieser Überzeugung gemäß zu handeln, beispielsweise auch bei Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit. Der Metzger etwa, dem gesetzlich verboten wird, Fleisch von geschächteten Tieren zu verkaufen, kann seinen Beruf nicht mehr den islamischen Regeln entsprechend ausüben. Ein Verbot, Kundinnen ohne Kopftuch zu benachteiligen, würde dementsprechend nur dann den grundrechtlichen Schutzbereich betreffen, wenn sich der Metzger auf einen Glaubenssatz berufen könnte, der es ihm verbietet, Fleisch an Frauen zu verkaufen, die kein Kopftuch tragen. Den Metzger träfe insoweit die Darlegungslast (vgl. BVerwGE 94, 82 ff.). Er müsste ernsthaft darlegen können, dass das Betreiben einer islamischen Metzgerei nicht nur die Einhaltung bestimmter Regeln bei der Schlachtung der Tiere, sondern auch eine bestimmte Auswahl der Kundschaft erfordert. Dabei genügte nicht die Berufung auf behauptete Glaubensinhalte und Glaubensgebote; vielmehr müsste ein Gewissenskonflikt als Konsequenz aus dem Zwang, der eigenen Glaubensüberzeugung zuwider zu handeln, konkret, substantiiert und objektiv nachvollziehbar dargelegt werden (vgl. BVerwGE 94, 82 ff.).

Absatz 2 enthält eine besondere Bestimmung für private Versicherungsverträge nach § 19 Abs. 1 Nr. 2. Sie regelt, unter welchen besonderen Vorraussetzungen die Ungleichbehandlung wegen der in § 20 Abs. 1 Satz 1 genannten Merkmale bei der Festlegung von Prämien und Leistungen durch die Versicherungen zulässig ist. Sind die Voraussetzungen von Absatz 2 erfüllt, bleibt bei der Vertragsgestaltung (insbesondere der Prämien- oder Leistungsbestimmung), aber auch bei der Entscheidung über den Vertragsschluss selbst, die Berücksichtigung der von diesem Gesetz erfassten Risiken möglich. Die Einbeziehung sämtlicher Privatversicherungsverträge (einschließlich ihrer Anbahnung, Durchführung und Beendigung) in den Anwendungsbereich des allgemeinen privatrechtlichen Benachteiligungsverbots soll vor Willkür schützen; sie soll aber nicht die auch im Interesse der Versicherten erforderliche Differenzierung nach dem ex ante beurteilten individuellen Risiko unmöglich machen. Diese Differenzierung nämlich gehört zu den Grundprinzipien der privatrechtlichen Versicherung.

Die Vorschrift unterscheidet dabei zwischen dem Merkmal Geschlecht als Risikofaktor bei der versicherungsmathematischen Kalkulation und den Merkmalen Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Identität. Im Hinblick auf das Merkmal Rasse und ethnische Herkunft ist es den Versicherungen dagegen einschränkungslos verboten, dieses als Risikofaktor zu verwenden.

Die Anforderungen an die Berücksichtigung des Geschlechts als versicherungsmathematisher Faktor sind in Satz 1 geregelt. Dieser greift die Formulierung in Artikel 5 Abs. 2 Satz 1 der Gleichbehandlungsrichtlinie wegen des Geschlechts außerhalb der Arbeitswelt 2004/113/EG auf und setzt diese Bestimmung im Bereich des Versicherungsvertragsrechts um. Die Rechtfertigung der Berücksichtigung des Merkmals Geschlecht bei der Bestimmung von Prämien und Leistungen greift danach nur ein, wenn es sich bei dem Geschlecht um einen „bestimmenden Faktor“ bei der Risikobewertung handelt. Das Geschlecht darf also nicht nur ein Differenzierungskriterium unter vielen sein, sondern es muss sich um einen maßgeblichen Faktor bei der Beurteilung der versicherten Risiken handeln, wenn auch nicht unbedingt um den Einzigen. Dessen Heranziehung darf nicht willkürlich sein.

„Relevant“ und „genau“ sind hierbei nur Daten, die eine stichhaltige Aussage über das Merkmal Geschlecht als versicherungsmathematischen Risikofaktor erlauben. Die Daten müssen deshalb verlässlich sein, regelmäßig aktualisiert werden und auch der Öffentlichkeit zugänglich sein.

Hiervon macht Satz 2 entsprechend Artikel 5 Abs. 3 der erwähnten Richtlinie eine sozialpolitisch motivierte Ausnahme: Kosten, die im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Entbindung entstehen, dürfen nicht geschlechtsspezifisch in Ansatz gebracht werden. Die Norm folgt damit insoweit auch den Forderungen des Deutschen Bundestages, die im Entschließungsantrag vom 30. Juni 2004 niedergelegt sind (Bundestagsdrucksache 15/3477).

Satz 3 regelt die Voraussetzungen, unter denen Versicherungen die Merkmale Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexuelle Identität als Risikofaktoren bei der Festlegung der Prämien und Leistungen heranziehen können. Diese muss auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruhen, insbesondere auf einer versicherungsmathematisch ermittelten Risikobewertung unter Heranziehung statistischer Erhebungen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass als Risikomerkmale ohnehin nur solche Umstände geeignet sind, die zu vertretbaren Kosten statistisch erfassbar sind und einen deutlichen statistischen Zusammenhang mit der Schadenserwartung haben (Wandt, Geschlechtsabhängige Tarifierung in der privaten Krankenversicherung, VersR 2004, 1341, 1432).

Der Begriff „anerkannte Prinzipien risikoadäquater Kalkulation“ kann als eine Zusammenfassung der Grundsätze gesehen werden, die von Versicherungsmathematikern bei der Berechnung von Prämien und Deckungsrückstellungen anzuwenden sind. Diese Grundsätze haben gesetzliche Grundlagen (z. B. § 11 VAG, § 65 VAG sowie aufgrund dieser Vorschrift erlassene Rechtverordnungen, § 341f HGB für die Lebensversicherung). Es sind bestimmte Rechnungsgrundlagen, mathematische Formeln und kalkulatorische Herleitungen zu verwenden, wobei hierbei, falls vorhanden oder bei vertretbarem Aufwand erstellbar, auch statistische Grundlagen (z. B. Sterbetafeln) heranzuziehen sind. Ferner muss auf anerkannte medizinische Erfahrungswerte und Einschätzungstabellen der Rückversicherer zurückgegriffen werden. Insgesamt trifft die Versicherungen damit eine gesteigerte Darlegungs- und Beweislast.


B. Stellungnahme des Bundesrates - BT-Drucksache 16/1852


Zu § 20 erfolgte keine Stellungnahme.


C. Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)- BT-Drucksache 16/2022


1. Vorschlag


5. § 20 Abs. 1 Nr. 4 wird wie folgt gefasst:

„4. an die Religion eines Menschen anknüpft und im Hinblick auf die Ausübung der Religionsfreiheit oder auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, der ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform sowie der Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion zur Aufgabe machen, unter Beachtung des jeweiligen Selbstverständnisses gerechtfertigt ist.“

2. Begründung


Zu Nummer 5

Folgeänderung zu Nummer I.4.

D. Fortgang


Der Bundestag verhandelte hierzu am 29.06.2006. Es gab eine würzige Abschlußdiskussion (Protokoll vom 29.06.2006). Letztlich wure das Gesetz so wie vom Rechtsausschuß vorgechlagen, beschlossen.

Der Bundesrat hat am 07.07.2006 beschlossen, keinen Einspruch einzulegen.

Der Bundespräsident unterschrieb sodann (erst) am 14.08.2006, weil noch einige redaktionelle Änderungen durchgeführt wurden.

Folglich erging das Gesetz und auch dieser § inhaltlich so, wie vom Bundestag am 29.06.2006 beschlossen.
In dieser Kommentarsreihe werden insbesondere folgende Abkürzungen und Quellen verwendet:
a.A. = Anderer Ansicht
AG = Arbeitgeber (evtl. auch einmal "Aktiengesellschaft")
AGBs, AGB´s = Allgemeine Geschäftsbedingungen
AG = Amtsgericht
ArbG = Arbeitsgericht (gelegentlich auch für Arbeitgeber!)
ArbGG = Arbeitsgerichtsgesetz
AT = Austria, Österreich
BAG = Bundesarbeitsgericht (BRD)
BGB = Bürgerliches Gesetzbuch (BRD)
BGH = Bundesgerichtshof (BRD)
BRD = Bundesrepublik Deutschland
BVerwG = Bundesverwaltungsgericht
CH = Schweiz
Dornb./W.- ... Dornbusch/Wolff-(Bearbeiter), KSchG, arbeitsrechtliche Kurzkommentare, Luchterhand-Verlag
EuGH = Europäischer Gerichtshof
EU = Europäische Union
h.M. = Herrschende Meinung
KSchG = Kündigungsschutzgesetz
LAG = Landesarbeitsgericht
OGH = Oberster Gerichtshof (Österreich)
OLG = Oberlandesgericht (BRD)
OVG = Oberverwaltungsgericht (BRD)
Pal.- ... = Palandt-(Bearbeitername), Kurzkommentar zum BGB, C.H. Beck-Verlag
PM = Pressemitteilung
m.M. = Mindermeinung
Staudinger-... = Staudinger-(Bearbeiter, Kommentar zum BGB
str. = strittig, streitig
u.a. = unter anderem
u.U. = Unter Umständen
ZPO = Zivilprozeßordnung