Di, 14. Mai 2024, 08:33    |  Login:  User Passwort    Anmelden    Passwort vergessen
ARBEITSPLATTFORM NEWS URTEILE GESETZE/VO KOMMENTARE SITEINFO/IMPRESSUM NEWSLETTER
GG
Grundgesetz
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art. 2 (Regelung seit 23.05.1949)
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Abgelehnte Änderung zu Art. 2 (1984)

Gang der Gesetzgebung:

a. Bundestag - Gesetzentwurf Fraktion DIE GRÜNEN 09.02.1984 Drucksache 10/990

1. Beratung

b. Bundestag - Plenarprotokoll 10/75 08.06.1984 S. 5456B, 5457B-5499C; Beschluß: S. 5497C - Überweisung: RechtsA (federführend), InnenA, AfELuF
c. Bundestag - Beschlußempfehlung und Bericht RechtsA 13.01.1986 Drucksache 10/4636

2. Beratung

d. Bundestag - Plenarprotokoll 10/187 16.01.1986 S. 14254C-14269A
Beschluß: S. 14268D - Ablehnung Drucksache 10/990



A. Gesetzentwurf Fraktion DIE GRÜNEN, Bundestag-Drucksache 10/990, 09.02.1984


A. Problem
Die natürlichen Elemente der Umwelt bilden die notwendigen und unersetzlichen Grundlagen des menschlichen Lebens. Die zunehmende Gefährdung und Zerstörung dieser Elemente durch die technische Zivilisation bedrohen die Existenz des Menschen in grundsätzlicher Weise, über die Einzeleingriffe in sein Leben und seine Gesundheit hinaus. Zur Abwendung dieser Lebensbedrohung ist erforderlich, daß die fundamentale Bedeutung der Umwelt und ihrer natürlichen Lebensgrundlagen für die menschliche Existenz in allem staatlichen, gesellschaftlichen und privaten Handeln beachtet wird.

B. Lösung
Einfügung eines Umweltgrundrechtes und einer staatlichen Verpflichtung sowie einer Verpflichtung für jedermann zum Schutze der Umwelt.

C. Alternativen
keine

D. Kosten
keine


1. Vorschlag


Entwurf eines Sechsunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen; Artikel 79 Abs. 2 des Grundgesetzes ist eingehalten:

Artikel 1

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBI. S. 1) zuletzt geändert durch das Gesetz vom 21. Dezember 1983 (BGBI. 1 S. 1481), wird wie folgt geändert:

1. Dem Artikel wird folgender Absatz 3 angefügt:

"(3) Jeder Mensch hat das Recht auf eine gesunde Umwelt und den Erhalt seiner natürlichen Lebensgrundlagen,

Artikel 2

Das Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft.


2. Begründung


A. Allgemeiner Teil - zum GG insgesamt

Bei der Erarbeitung des Grundgesetzes und seiner Verkündung im Jahre 1949 wurde dem Bereich des Schutzes, der Pflege und der Erhaltung der Umwelt noch nicht der ihm zustehende Stellenwert zugemessen. Dies ist aus der Sicht der Mütter und Väter des Grundgesetzes zu verstehen. Im damaligen gesellschaftlichen und zeitlichen Zusammenhang ergaben sich zwangsläufig Schwerpunktsetzungen, bei denen die Belange der Umwelt höchstens am Rande Berücksichtigung fanden. Vorrangige Aufgabe und Anspruch des Gesetzgebers war der Aufbau eines demokratischen Staatswesens, die Schaffung von Garantien für die persönlichen Freiheitsund Menschenrechte jedes einzelnen Bürgers sowie der Schutz des Einzelnen und des Staates vor totalitären Machtansprüchen. Der Mensch und seine Rechte standen im Zentrum der Betrachtung; dies als Folge und Reaktion leidvoller Erfahrungen in der vorangegangenen Zeit. Das Menschenbild und das damalige Selbstverständnis waren davon geprägt, daß durch menschliche Arbeit und technischem Fortschritt praktisch alle bestehenden und auftretenden ökologischen Probleme zu lösen und zu bewältigen seien. Sichtbare schwere Umweltschäden beschränkten sich hauptsächlich auf Kriegsschäden. Kriegsfolgeschäden und Raubbau aus Nahrungsmittel- und Rohstoffmangel. Die Nachkriegsgeneration sah sich noch nicht vor die Aufgabe gestellt, sich mit der sie umgebenden Natur und Umwelt zu arrangieren und haushälterisch und pfleglich mit ihr und allen ihren Teilen umzugehen. Die neuzeitliche Naturwissenschaft mit ihrem Anspruch der Wertfreiheit erklärte die Beherrschung und Unterwerfung der belebten und unbelebten Umwelt unter die Bedürfnisse der Menschen für unbegrenzt möglich und alle daraus entspringenden Probleme für wissenschaftlich lösbar. Alles schien machbar zu sein.

In der diese Phase prägenden Aufbaumentalität, mit den Zielen Wiederaufbau, Integration von Flüchtlingen und Ankurbelung der Wirtschaft vor Augen, war der Blick auf Probleme, die aus einem Zusammenprallen der Ideologie des ständigen Wirtschaftswachstums mit der Realität der Begrenztheit und begrenzten Belastbarkeit der Umwelt entstehen mußten, verstellt. Für eine angemessene Berücksichtigung des Schutzes der Umwelt und der Umweltgüter fehlten damals noch weitgehend der geschichtliche Bezug, das Problembewußtsein und die Erkenntnis der tatsächlichen Bedrohung unserer Lebensgrundlagen.

Heute jedoch sind die Natur als Ganzes und die Umwelt in hohem Maße bedroht: Gewässer werden zu Kloaken, Seen kippen um, Böden und Wälder sind vergiftet, Trinkwasser und Nahrungsmittel gefährdet, Luft durch Industriebetriebe, Kraftwerke und Autoverkehr verpestet, viele wertvolle Tierund Pflanzenarten sind schon ausgestorben, vom "Aussterben bedroht oder akut gefährdet: 55 v. H. aller Säugetierarten, 44 v, H. aller Vogelarten, 67 v. H. aller Reptilien, 58 v. H. aller Lurche, 34 v. H. aller Fische, 51 v. H. aller Libellen. Die Schönheit und Harmonie traditionsreicher Landschaften werden zerstört durch. Kahlschlag, Monokulturen, großflächige Flurbereinigung und Verkehrsprojekte.

Die Städte und Siedlungen werden zunehmend unwirtlich, kinderfeindlich, unbewohnbar.

Der Raubbau an den natürlichen Ressourcen, täglich neu auftretende Umweltschädigungen, die Irreparabilität vieler Umweltschäden, alles dies deutet auf die Gefahr der langsamen und unwiederbringlichen Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen hin. Dadurch ist die Qualität des menschlichen Lebens und die Balance des gesamten Naturhaushaltes bedroht, ja sogar das Überleben des Menschen in Frage gestellt. Die Veröffentlichung der Studie des Club of Rome über die Grenzen des Wachstums hat weltweit eindringlich darauf hingewiesen, ebenso wie in letzter Zeit die Studie "GLOBAL 2000".

Diese Umweltkatastrophe kann nur verhindert werden, wenn der für das menschliche Leben überragend wichtige Schutz der Umwelt endlich Vorrang erhält vor technischer und industrieller Entwicklung, wirtschaftlichem Wachstum und Privatinteressen.

Es muß eine für die Gesellschaft richtungweisende allgemeingültige Wertentscheidung zugunsten des Schutzes der Umwelt getroffen werden. Dies geschieht auf rechtlicher Ebene durch die Einbeziehung der Pflicht zum Schutz der Umwelt und der natürlichen Lebensgrundlagen in die Verfassung, da diese die wertmäßige Rangfolge staatliehen und menschlichen Handeins in der Gesellschaft normiert.

Deshalb haben in den letzten zehn Jahren auch viele Länder den Gedanken des Umweltschutzes in ihre Verfassungen aufgenommen. In der Bundesrepublik Deutschland hat das Land Baden-Württemberg 1976 die Pflicht zum Schutz der Umwelt in die Landesverfassung aufgenommen. In Europa hat die Schweiz 1971 der Pflicht zum Schutz der natürlichen Umwelt Verfassungsrang zuerkannt. Auch die Länder Griechenland (1975), Portugal (1976) und Spanien (1978) haben entsprechende Bestimmungen in ihre Verfassungen aufgenommen.

Gerade die Bundesrepublik Deutschland als technologisch und wirtschaftlich hochentwickeltes Land ist gefordert, gesetzgeberische Maßnahmen zur Begrenzung der Gefahren, die aus dieser Wirtschaftsweise folgen, zu ergreifen. Das bedeutet, daß die Inhalte des Grundgesetzes erweitert werden müssen um die bisher vernachlässigten Zielsetzungen des Erhaltens, Schonens, Bewahrens, Verbesserns und WiederhersteIlens der durch menschliche Einflüsse gefährdeten natürlichen Lebensgrundlagen und natürlichen Ressourcen.

Es ist Zeit, umzudenken, denn wir haben nur diese Erde, um von ihr und mit ihr zu leben.

B. Zu den einzelnen Bestimmungen

I. Zu Artikel 2 Abs. 3 des Grundgesetzes


1m geltenden Grundgesetz wird weder in den Bestimmungen über die Staatsausgaben noch in den Grundrechten die Sorge um die Umwelt und den Menschen in seiner Umwelt ausdrücklich als Ganzes normiert. Geschützt wird in Artikel 2 Abs. 2 GG die Gesundheit, das Leben und die körperliche Unversehrtheit vor Einzeleingriffen. Artikel 2 Abs.2 GG umfaßt nicht die für die Existenz des Menschen notwendige gesunde Umwelt und die natürlichen Lebensgrundlagen in ihrer Gesamtheit als Zusammenspiel und Wirkungszusammenhang gegenüber dem Menschen.

Durch Artikel 2 Abs.3 GG wird nunmehrüber den Einzeleingriff hinaus der tatsächlich gegebene fundierende Zusammenhang zwischen Leben und Gesundheit einerseits und natürlichen Umweltbedingungen in ihrer Gesamtheit andererseits gewährleistet. Dieser Zusammenhang ist bei allen Maßnahmen staatlicher Gewalt zu beachten.

Mit natürlichen Lebensgrundlagen meinen wir gesundes Wasser, gesunde Luft, gesunde Nahrungsmittel, für die wiederum gesunde Böden die Voraussetzung sind. Der Begriff der gesunden Umwelt umfaßt zunächst die weitweit anerkannte Definition der Weltgesundheitsorganisation für Gesundheit und meint Gesundheit für den Menschen, welche die physischen, psychischen und sozialen Elemente des körperlichen Wohlbefindens des Menschen mit einschließt. Mit einer Umwelt, in der die Menschen gesund sein können, ist aber auch eine Umwelt gemeint, die auch ohne Bezug zum Menschen für sich in Ordnung, in ihrem Wirkungszusammenhang ausgewogen und gesund ist. Denn nur eine solche ist für den Menschen, der auch ein Teil der ihn umgebenden Umwelt und Natur ist, eine wirklich gesunde Umwelt. Der Begriff der gesunden Umwelt umfaßt neben der Natur im engeren Sinne und den natürlichen Lebensgrundlagen des weiteren auch die unmittelbare Lebensumwelt der Menschen in ihren Häusern, Dörfern, Städten, Regionen und Landschaften.

Mit den Begriffen gesunde Umwelt und natürliche Lebensgrundlagen in dem neu zu schaffenden Artikel 2 Abs. 3 GG sollen nicht die Normen einer bestimmten Situation oder eines bestimmten Zustandes der Umwelt, Natur und Gesellschaft festgeschrieben werden, weil sich mit der gesellschaftlichen Entwicklung auch die Normen einer gesunden Umwelt und der natürlichen Lebensgrundlagen verändern können. Die Formulierung in Artikel 2 Abs.3 GG gibt Raum dafür, daß die Begriffe in ihrem jeweiligen zeitgemäßen Verständnis ausgelegt werden können.

Das Grundrecht in Artikel 2 Abs. 3 GG schafft nicht nur ein Recht für den einzelnen Menschen auf eine gesunde Umwelt und natürliche Lebensgrundlagen, sondern die Gesellschaft erfährt durch die den einzelnen Individuen eingeräumten Grundrechte eine neue Wertordnung und Orientierung, da der einzelne Mensch als Inhaber und Träger der Grundrechte zugleich Glied der Gesellschaft ist.



B. Beschlußempfehlung und Bericht Rechtsausschusses, Bundestag-Drucksache 10/4636, 13.01.1986


Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) zu dem von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten:
a) Drucksache 10/990 - Entwurf eines SechsunddreißIgsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes -

b) Drucksache 10/1502(andere Rechtsvorschriften)

A. Problem
Die beiden Gesetzentwürfe schlagen vor, den Umweltschutz als Staatszielbestimmung im Grundgesetz zu verankern. Der Gesetzentwurf Drucksache 10/990 sieht darüber hinaus die Einfügung eines Umweltgrundrechtes vor.

B. Lösung
Der Rechtsausschuß empfiehlt mit Mehrheit, die beiden Gesetzentwürfe abzulehnen.

c. Alternativen
Die Fraktion der SPD und die Fraktion DIE GRÜNEN schlagen die Annahme ihrer Gesetzentwürfe vor.

D. Kosten
keine


I. Beschlußempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen, die Gesetzentwürfe - Drucksachen 10/990, ...b)... (andere Rechtsvorschriften) - abzulehnen.

Bonn, den 10.Januar 1986

II. Bericht der Abgeordneten Bschmsler und Ssurln

I. Zum Beratungsverfahren

Dem Rechtsausschuß lagen zu dem Vorschlag, den Umweltschutz in das Grundgesetz aufzunehmen, zwei Gesetzentwürfe vor:

a) Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN

Entwurf eines Sechsunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes

- Drucksache 10/990 -

Dieser Gesetzentwurf schlägt vor, in einem neuen Artikel 37a den Umweltschutz nicht nur als Staatszielbestimmung aufzunehmen, sondern auch in einer Ergänzung des Artikels 2 GG ein Grundrecht auf eine gesunde Umwelt und den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen einzuführen.

Der Gesetzentwurf wurde vom Deutschen Bundestag in seiner 75. Sitzung am 8. Juni 1984 in erster Lesung beraten und an den Rechtsausschuß federführend sowie an den Innenausschuß und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mitberatend überwiesen.

b) Gesetzentwurf der Fraktion der SPD

Entwurf eines Sechsunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes

- Drucksache 10/1502 -

Der Entwurf sieht die Aufnahme des Umweltschutzes als Staatszielbestimmung in das Grundgesetz vor. In einem neuen Artikel 20 a GG soll bestimmt werden, daß "die natürlichen Lebensgrundlagen unter dem besonderen Schutz des Staates stehen".

Durch ,ine Ergänzung des Artikels 28 Abs. 1 GG soll gewährleistet werden, daß die Staatszielbestimmung auch für die Länder und Gemeinden verbindlich wird.

Der Rechtsausschuß hat die beiden Gesetzentwürfe in seiner 37, 43, 58, 59, 63. und 67. Sitzung am 14. November 1984, 6. Februar 1985, 25. September 1985, 2. Oktober 1985, 23. Oktober 1985 und 5. Dezember 1985 beraten. Zu seinen Beratungen hat der Rechtsausschuß insbesondere auch die Ergebnisse der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses und des Jimenausschusses des Bundesrates vom 10.Juni 1985 herangezogen. Der mitberatende Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und. Forsten hat mit Stellungnahme vom 13. Dezember 1984 und der mitberatende Innenausschuß mit Stellungnahme vom 2. Oktober 1985 jeweils mit Mehrheit empfohlen, die Gesetzentwürfe abzulehnen.

II. Begründung der Ausschußempfehlung

1. Für den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD Drucksache 10/1502 - haben die Ausschußmitglieder der Fraktion der SPD und nach Ablehnung des Gesetzentwurfes der Fraktion DIE GRÜNEN auch das AusschuJlmitglied dieser Fraktion gestimmt. Der Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN - Drucksache 10/990 wurde von allen anderen Fraktionen abgelehnt.

2. Zu dem Vorschlag, den Umweltschutz als Staatszielbestimmung in das Grundgesetz aufzunehmen:

a) Die Mehrheit des Rechtsausschusses lehnt den Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN, in dem eine Ergänzung des Artikels 2 GG um ein Grundrecht auf eine gesunde Umwelt und den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen gefordert wird, ab. Alle Sachverständigen, sowohl in der von der Bundesregierung berufenen Kommission wie auch bei den Anhörungen, hätten sich gegen die Aufnahme eines Umweltgrundrechts in den Grundrechtskatalog des Grundgesetzes ausgesprochen.

Die Mehrheit des Rechtsausschusses ist auch der Auffassung, daß die von der Fraktion der SPD vorgeschlagene Ergänzung des Grundgesetzes letztlich keinen verbesserten Schutz der Umwelt bewirken werde. Dies könnte nur durch konkrete Umweltschutzmaßnahmen, wie sie die Regierung erfolgreich eingeleitet habe und fortführen werde, erreicht werden. Die Regierungskoalition werde ihren Weg einer konsequenten Umweltschutzpolitik auf allen Gebieten auch zukünftig weiter fortsetzen.

Die allgemeinen grundsätzlichen Erörterungen hätten gezeigt, daß die Aufnahme eines Umweltschutzartikels mit lediglich appellativem Charakter nur ein Programmsatz ohne verfassungsrechtlichen Regelungsgehalt wäre. Eine solche Bestimmung würde beim Bürger nur Enttäuschungen hervorrufen und falsche Vorstellungen oder Hoffnungen wecken. Im Gegensatz zur Weimarer Verfassung habe der Grundgesetzgeber an Hand der Erfahrungen mit der Weimarer Verfassung ganz bewußt davon abgesehen, Staatszielbestimmungen oder Programmsätze in das Grundgesetz aufzunehmen - bei ganz wenigen Ausnahmen, wie z, B. in der Präambel des Grundgesetzes.

Die Konzeption des Grundgesetzes, daß in der Verfassung nur voll erfüllbare Rechtssätze aufgenommen sein sollten, und nicht den Bürger letztlich enttäuschende politische Ankündigungen, habe sich bewährt. Das Grundgesetz enthalte auch keine Schutzlücke im Umweltschutzbereich, die eine Verfassungsergänzung erfordern würde. Bereits jetzt hätten Staat und Gesellschaft nach dem Grundgesetz alle Möglichkeiten für einen wirksamen Schutz der Umwelt: Artikel 2 Abs. 2 GG biete das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Artikel 14 Abs. 2 GG bestimme die Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums, Artikel 20 Abs. 1 stellt das Sozialstaatsprinzip auf. In den Artikeln 74 und 75 GG würden dem Bund konkrete Umweltschutzkompetenzen zugewiesen.

Auch ein Vergleich mit einzelnen Verfassungen der Bundesländer oder anderer Staaten, die Umweltschutzbestimmungen enthielten, sei wegen der vollkommen andersartigen Struktur und Justiziabilität des Grundgesetzes nicht angebracht.

Bedenken ergäben sich auch wegen dem völlig unbestimmten Begriff "natürliche Lebensgrundlagen", der in beiden Gesetzentwürfen zur Ergänzung des Grundgesetzes verwendet werde. Die Übernahme solcher unpräzisen Begriffe in die Verfassung führe zu Unklarheiten, was letztlich von selten der Verfassung als konkretes Ziel geboten sei und was verboten werden solle. Völlig ungeklärt sei in den vorliegenden Gesetzentwürfen auch das besondere Spannungsverhältnis zu anderen Werten unserer Staats- und Gesellschaftsordnung. Bei Aufnahme des Umweltschutzes als Staatsziel müßte in Form eines Gesamtkonzepts, das die Aufgaben des heutigen Staates in der Industriegesellschaft nicht selektiv, sondern umfassend beschreibe, eine Abgrenzung zu anderen Aufgaben, wie z. B. äußere und innere Sicherheit, Verhältnis Staat-Geseilschaft- Wirtschaft, Kultur, Gesundheit und Altersvorsorge. Erhaltung von Arbeitsplätzen usw., in der Verfassung vorgenommen werden. In den Gesetzentwürfen sei jedoch nicht einmal ein Gesetzesvorbehalt, der solche Abgrenzungen beinhalten könnte, vorgesehen.

Der Umweltschutz, der sich mit vielen anderen Staatsaufgaben berühre und überschneide, sei eine klassische Aufgabe politischer Abwägungen und Entscheidungen, die in erster Linie den Parlamenten, der Regierung und der Verwaltung zugewiesen bleiben müsse. Die Aufnahme einer Staatszielbestimmung gemäß den vorliegenden Gesetzentwürfen würde zu einer weiteren Verlagerung parlamentarischer Kompetenzen auf die Gerichte führen, da die vorgeschlagenen offenen und unbestimmten Begriffe und Normen durch die Rechtsprechung ausgelegt werden müßten. Das Spannungsverhältnis zwischen Umweltschutz und anderen Werten unserer Staatsund Gesellschaftsordnung würde letztlich von den Gerichten und nicht mehr von den Parlamenten definiert und entschieden.

Da die Einhaltung einer generalklauselartigen Schutzverpflichtung der Bundesaufsicht unterliegen würde, wäre ferner eine Verschiebung des bundesstaatslichen Gefüges mit weiterem Kompetenzverlust der Länder zu erwarten. Nach Auffassung der Mehrheit sprächen daher die überwiegenden Gründe für die Ablehnung der beiden Gesetzentwürfe.

b) Die Fraktion der SPD trägt zur Begründung ihres Gesetzentwurfs vor, angesichts der fortschreitenden Schädigungen der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen sei der Umweltschutz zu einer der überragenden Aufgaben des Staates und der Gesellschaft geworden. Es sei auch erkennbar, daß der Umweltschutz aufgrund der weltweiten wirtschaftlichen, technischen und zivilisatorischen Entwicklung eine bleibende Hauptaufgabe des Staates sein werde. Wenn der Umweltschutz als Staatsziel in die Verfassung aufgenommen werde, so habe dies nicht nur den Zweck, seine besondere Bedeutung im Bewußtsein der Bevölkerung und aller staatlichen Organe hervorzuheben und zu bekräftigen, sondern eine solche Staatszielbestimmung entfalte als Wertentscheidung der Verfassung eine Bindewirkung für alle staatlichen Organe. Das Bundesverfassungsgericht habe in Ausgestaltung grundgesetzlicher Vorgaben in ständiger Rechtsprechung eine ganze Reihe von solchen Verfassungswertentscheidungen mit erheblichen rechtlichen Auswirkungen festgestellt, wie z.B. das Sozialstaatsprinzip, das Rechtsstaatsprinzip oder das Wiedervereinigungsgebot. Der Grundgesetzgeber habe damals die Entwicklung bei den Umweltschäden und die Bedeutung des Umweltschutzes noch nicht erkennen können. Aus den angeführten einzelnen, verstreut im Grundgesetz niedergelegten Verfassungsbestimmungen, wie Artikel 2 Abs.2 GG (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit), Sozialbindung des Eigentums nach Artikel 14 Abs.2 GG, das Sozialstaatsprinzip nach Artikel 20 Abs. 1 GG, lasse sich nicht der Grundsatz des Umweltschutzes als verfassungsrechtliche Richtlinie für staatliches Handeln aufstellen. Der richtige Weg sei, den Umweltschutz durch eine klare und eindeutige Verfassungsbestimmung als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern. Der Stellungnahme des Bundesjustizministers vor dem Rechtsausschuß, daß hierfür die Zeit noch nicht reif sei, könne nicht zugestimmt werden. Die von den Bundesministern der Justiz und des Innern berufene unabhängige "Sachverständigenkommission Staatszielbestimmungen - Gesetzgebungsaufträge" unter Vorsitz von Prof. Dr. Denninger, habe in ihrem am 10.August 1983 vorgelegten Bericht empfohlen, das Grundgesetz in den Bereichen Arbeit, Umwelt und Kultur zu ergänzen. Eine ganze Reihe von Ländern habe den Umweltschutz als Staatsziel in der jeweiligen Landesverfassung verankert. In Bayern habe die Bevölkerung in einem Volksentscheid mit 95% dafür gestimmt. Baden-Württemberg habe schon in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre eine Staatszielbestimmung zum Umweltschutz in seine Verfassung aufgenommen.

Es wäre nur eine folgerichtige verfassungspolitische Entwicklung, wenn im Interesse der Verfassungseinheit eine entsprechende Ergänzung in das Grundgesetz aufgenommen würde.

Die Mehrheit führe zum einen für die Ablehnung des von der SPD vorgeschlagenen Staatszieles Umweltschutz an, daß es im wesentlichen ohne echte Wirkung für den Umweltschutz wäre. Zum anderen begriinde sie ihre Ablehnung damit, daß die von. der SPD vorgeschlagene Ergänzung des Grundgesetzes um ein Staatsziel Umweltschutz zu einer Verlagerung politischer Abwägungs- und Entscheidungsprozesse von den Parlamenten und der Exekutive auf die Gerichte führe. Mit diesem Argument gestehe sie indirekt ein, daß ein Staatsziel Umweltschutz zu einer Verbesserung der Kontrolle der Entsd>eidungen der Exekutive durch unabhängige Gerichte führen könne.

Eine intensivere Kontrolle auch durch die Gerichte sei in der Tat u.a. vom Gesetzentwurf der Fraktion der SPD beabsichtigt. Ganz bewußt beschränke sich der Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf eine Staatszielbestimmung und sehe kein Grundrecht auf Umweltschutz vor, um eine weitgehende Verrechtlichung und eine Verlagerung der politischen Verantwortung auf die Gerichte zu vermeiden.

3. Die Fraktion DIE GRÜNEN schlägt darüber hinaus vor, neben der Aufnahme einer Staatszielbestimmung im Grundgesetz ein Grundrecht auf Umweltschutz in einem neuen Absatz 3 des Artikels 2GG einzuführen. Sie ist der Auffassung, daß eine Staatszielbestimrnung nicht genüge, um die katastrophale Entwicklung bei der Umweltsschädigung aufzuhalten und rückgängig zu machen.

Eine Staatszielbestimrnung habe einen zu wenig verbindlichen Rechtscharakter, als daß sie allein eine ausreichende verfassungsrechtliche Garantie für die Erhaltung einer gesunden Umwelt geben könne. Einen wirksamen Schutz für den Bürger gegen eine Schädigung seiner Umwelt und seiner natürlichen Lebensgrundlagen könne nur ein Grundrecht gewährleisten, das ihm eigene durchsetzbare verfassungsrechtIiche Ansprüche gebe.

Sowohl die Regierungsfraktionen als auch die Fraktion der SPD wenden sich gegen ein Grundrecht des einzelnen auf Umweltschutz. Ein solches neues Grundrecht würde sich nach ihrer Auffassung in seiner Reichweite kaum abgrenzen lassen, es würde sich mit dem bereits bestehenden Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtbeit in Artikel2 Abs. 2GG überschneiden. Es wäre in seinen Rechtsfolgennicht mehr überschauber und würde zu einer weitgehenden Verrechtlichung der Aufgabe des Umweltschutzes und zu einer untragbaren Einschränkung politischer Entscheidungen, bei denen das Ziel des Umweltschutzes mit anderen Interessen des Staates und der Allgemeinheit abgewogen werden müßte, führen;



C. Weiterer Fortgang des Gesetzes


Dieser Vorschlag fand nicht die notwendige Zustimmung. Deshalb wurde er nie Bestandteil des Grundgesetzes.
In dieser Kommentarsreihe werden insbesondere folgende Abkürzungen und Quellen verwendet:
a.A. = Anderer Ansicht
AG = Arbeitgeber (evtl. auch einmal "Aktiengesellschaft")
AGBs, AGB´s = Allgemeine Geschäftsbedingungen
AG = Amtsgericht
ArbG = Arbeitsgericht (gelegentlich auch für Arbeitgeber!)
ArbGG = Arbeitsgerichtsgesetz
AT = Austria, Österreich
BAG = Bundesarbeitsgericht (BRD)
BGB = Bürgerliches Gesetzbuch (BRD)
BGH = Bundesgerichtshof (BRD)
BRD = Bundesrepublik Deutschland
BVerwG = Bundesverwaltungsgericht
CH = Schweiz
Dornb./W.- ... Dornbusch/Wolff-(Bearbeiter), KSchG, arbeitsrechtliche Kurzkommentare, Luchterhand-Verlag
EuGH = Europäischer Gerichtshof
EU = Europäische Union
h.M. = Herrschende Meinung
KSchG = Kündigungsschutzgesetz
LAG = Landesarbeitsgericht
OGH = Oberster Gerichtshof (Österreich)
OLG = Oberlandesgericht (BRD)
OVG = Oberverwaltungsgericht (BRD)
Pal.- ... = Palandt-(Bearbeitername), Kurzkommentar zum BGB, C.H. Beck-Verlag
PM = Pressemitteilung
m.M. = Mindermeinung
Staudinger-... = Staudinger-(Bearbeiter, Kommentar zum BGB
str. = strittig, streitig
u.a. = unter anderem
u.U. = Unter Umständen
ZPO = Zivilprozeßordnung
Urteile nach 27.04.2007, also nach Abschluss dieser Kommentierung