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KSchG
Kündigungsschutzgesetz
§ 4 Anrufung des Arbeitsgerichtes (Regelung seit 01.01.2004)
Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Im Falle des § 2 ist die Klage auf Feststellung zu erheben, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Hat der Arbeitnehmer Einspruch beim Betriebsrat eingelegt (§ 3), so soll er der Klage die Stellungnahme des Betriebsrates beifügen. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichtes erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.
Franz-Anton Plitt
 (Internet entrepreneur)
 Chisinau
 (Moldova)


Stand: 15.02.2011
Co-Kommentatoren
Düsseldorf
:
Christoph Burgmer
 (Rechtsanwalt)

München
:
Pierre Rosenberger
 (Rechtsanwalt)

Überblick zum Thema
1. Anwendbarkeit


1.1 Kündigung?

Die Bestimmung ist nur auf Kündigungen anwendbar, auf die das KSchG anwendbar ist (§§ 1, 13 I u.II, 23 KSchG) bzw. es wäre, wenn das Arbeitsverhältnis mind. 6 Monate bestünde (hierzu s.u.).

Hierzu rechnen auch die außerordentlichen Kündigungen (BAG 2 AZR 688/09 - Urt. v. 28.10.2010, Rn. 12).

Ebenfalls unter § 4 KSchG fällt die Konstellation, daß der ArbN zwar die Beendigung des Arbeitsverhältnisses an sich akzeptiert, aber nicht durch Kündigung sondern wegen (späteren) Zeitablaufs bei einem befristeten Arbeitsverhältnis (BAG, 6 AZR 480/09 - Urt.v. 22.07.2010).

Nicht unter § 4 KSchG fallen

- Klagen mit denen gerügt wird, daß die Kündigungsfrist falsch berechnet wurde und deshalb noch länger Lohn zu zahlen sei (BAG, 2 AZR 148/05 - Urt.v. 15.12.2005; zweifelnd aber: BAG, 8 AZR 201/07 - Urt. v. 21.08.2008, Rn. 31).

- Klagen, mit denen festgestellt werden soll, daß ein Arbeitsverhältnis nicht durch Betriebsübergang beendet worden ist (wegen z.B. Widerspruch und gleichzeitiger Arbeitsausübung beim neuen ArbG - BAG, 8 AZR 176/08 - Urt.v. 19.02.2009, Rn. 18). Da § 4 KschG eine materielle Ausschlußfrist ist, kommt auch eine analoge Anwendung, etc. hier nicht in Betracht.


1.2 Unwirksamkeitsgründe

Früher fielen nur sozial ungerechtfertigte Kündigungen unter diese Norm.

Zum 01.01.2004 hat der Gesetzgeber hinter die Worte in Satz 1 "sozial ungerechtfertigt" die nunmehrigen Worte "oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam" eingefügt. Seit 01.01.2004 fallen also auch Klagen unter diese Frist, mit denen der Arbeitnehmer Sonderkündigungsschutz aus anderen Gründen geltend machen will, wie z.B. aus dem MuSchG (LAG Chemnitz, 2 Ta 340/05 - Beschl. v. 11.01.2006).

Letztlich fallen jetzt alle Unwirksamkeitsgründe unter diese Norm (BAG, 6 AZR 282/05 - Urt. v. 09.02.2006, Rn. 20), mit allerdings mindestens einer Ausnahme wie unter 1.3 folgend:


1.3 Fristbeginn

§ 4 KSchG setzt für den Beginn der Frist den Zugang einer schriftlichen Kündigung voraus.

Ist die Schriftform iSd. § 126 BGB nicht gewahrt, gibt es eben keine "schriftliche" Kündigung und folglich beginnt die Frist nicht zu laufen! Außerdem dürften auch Fälle der fehlenden Bestimmtheit/ Unklarheit die Frist nicht auslösen, weil dann keine "Kündigung" vorliegt (so zumindest im Ergebnis: Dornb./W. § 4 Rn. 43 mwN.).

Derzeit offen ist, ob eine fehlende Vollmacht die Schriftform berührt oder nicht (offenlassend z.B. LAG München, 11 Sa 952/08 - Urt. v. 29.04.2009 mwN.)

Auch Klagen innerhalb der ersten 6-Monate, auf die ansonsten das KSchG nicht anwendbar ist, fallen nach neuer, geänderter Rechtsprechung des BAG unter § 4 KSchG, weil sonst ein Wertungswiderspruch gegenüber den schon länger beschäftigten und schützenswerteren Mitarbeitern entstünde (BAG: 6 AZR 282/05 - Urt. v. 09.02.2006, Rn. 17 f.; 6 AZR 873/06 - Urt.v. 28.06.2007).


2. Antrag + Gegenstand


Der Arbeitnehmer hat Klage auf Feststellung (§ 256 ZPO) zu erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgehoben ist.

Es sind aber auch Anträge ausreichend, die die inzidente Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung erfordern. Ebenso wird eine Lohnzahlungsklage für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist vom BAG als zulässig angesehen.

Das BAG meint insoweit zutreffend:

"Durch die dreiwöchige Klagefrist soll dem Arbeitgeber alsbald Klarheit darüber verschafft werden, ob der Arbeitnehmer eine Kündigung hinnimmt oder ihre Unwirksamkeit gerichtlich geltend machen will.

Erfüllt das prozessuale Vorgehen des Arbeitnehmers diesen Zweck, soll er nicht aus formalen Gründen den Kündigungsschutz verlieren. Dies wird durch die weit auszulegende Vorschrift des § 6 KSchG unterstrichen. Dementsprechend sind an Inhalt und Form der Kündigungsschutzklage keine hohen Anforderungen zu stellen
" (BAG, 2 AZR 474/07 - Urt.v. 23.06.2009, Rn. 28).

Sind mehrere Kündigungen zeitnah ausgesprochen, genügt deshalb in der Regel 1 Klage, wenn aus ihr für einen obj. Empfänger deutlich wird, daß alle ausgesprochenen Kündigungen angegriffen werden sollen (BAG, 2 AZR 474/07 - Urt.v. 23.06.2009, Rn. 29).

Bei größerem zeitlichem Abstand weiterer Kündigungen muß auch eine Klageerweiterung der bereits laufenden Klage genügen. Ansonsten hat es der Arbeitgeber in der Hand, den gekündigten Arbeitnehmer ziemlich risikolos mit erheblichem Mehraufwand an Anwaltskosten zu belasten.

Es muss ein Rechtsschutzinteresse des Antragstellers vorliegen.

Eine Rücknahme der Kündigung führt nicht zum Verlust desselben. Eine Kündigungsrücknahme ist wegen § 130 I 1 BGB nicht möglich, da die Kündigungserklärung als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung mit dem Zugang wirksam wird. Sie kann aber in ein Angebot umgedeutet werden, das Arbeitsverhältnis unter den alten Bedingungen wieder anzufangen.


3. Parteien


Die Kündigungsschutzklage muss als höchst persönliches Recht vom Arbeitnehmer vor dem ArbG geltend gemacht werden. Klagegegner ist der Arbeitgeber.

Hinsichtlich der Parteibezeichnungen ist Großzügigkeit bei der Auslegung zugunsten des Arbeitnehmers begründete Praxis (BAG, 2 AZR 474/07 - Urt.v. 23.06.2009, Rn. 28).


4. Klage-Frist


4.1. Die Klage muss innerhalb der Ausschlussfrist von 3 Wochen erfolgen, da sonst die Rechtsfolgen des § 7 KSchG eingreifen.

a.) Die Frist beginnt mit dem Zugang der (schriftlichen!) Kündigung beim Arbeitnehmer. Bei Kündigung durch Brief u.Ä. kommt es (§ 130 BGB) darauf an, wann die Erklärung in den Machtbereich des Arbeitnehmers gelangte und wann unter gewöhnlichen Verhältnissen damit zu rechnen ist, dass der Empfänger von der Erklärung Kenntnis nimmt.

Dieser Zugang erfolgt auch, wenn die Erklärung im Haushalt lebenden Personen (z.B. Hausangestellte) oder erwachsenen Familienangehörigen zugeht (Empfangsbotenschaft).

b.) Wird sie versäumt, kommt evtl. eine Zulassung einer verspäteten Klage nach § 5 KSchG in Betracht.

c.) Davon zu trennen ist eine materiell-rechtl. Ausschlußfrist, wie sie oft in den Verträgen vereinbart wird. Hier gilt, daß eine Frist von mind. 3 Monaten ab Fälligkeit gegeben sein muß (BAG, Urteil v. 28.08.2005 - 5 AZR 52/05).

Noch nicht endgültig entschieden ist die Frage, wie weitgefaßt die Klauseln sein dürfen - auch hier gelten natürlich die §§ 307 - 309, insb. § 309 Ziff. 7 BGB. In der Praxis sind völlig unbeschränkte Klauseln ("alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind binnen ... geltend zu machen") oder solche mit geringen Einschränkungen (" ... außer solchen aus strafbaren Handlungen, etc.") sehr verbreitet.

Damit sind auch Ansprüche aus § 309, ins. Ziff. 7 BGB, regelmäßig mit erfasst.

Das BAG ((5 AZR 52/05 - Urt. v. 28.08.2005) scheint die Befristung nicht als eine Haftungsbeschränkung iSd. § 309 Ziff. 7 BGB, etc. anzusehen - der BGH hingegen hat sich später mehrfach gegen diese Auffassung des BAG gewandt (BGH: VIII ZR 3/06 - Urt. v. 15.11.2006, E-Gründe, II. 1. b.); III ZR 59/07 - Urt. v. 29.05.2008; Xa ZR 141/07 - Beschl. v. 26.02.2009).

Eine Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GeSoBuG) unterließ der BGH bewußt, da die Auffassung des BAG in dessen Entscheidungen nicht entscheidungstragend war.

Der Auffassung des BGH ist der Vorzug zu geben. Das BAG dürfte bei nächster Gelegenheit hier einlenken oder genannten GeSoBuG anrufen. Demnach sind diese Klauseln nahezu allesamt unwirksam; ein Ausschluß aller Ansprüche aus der Inhaltskontrolle zu den AGB-Vorschriften ist vielmehr nötig um wirksame Ausschlußklauseln zu vereinbaren - oder, wohl irrealistisch, Individualvereinbarungen.

4.2. Abwesenheit des Arbeitnehmers beim Zugang der Kündigungserklärung

Probleme können beim Zugang aber entstehen, wenn der Arbeitnehmer seinen gewöhnlichen Wohnort für längere Zeit verlässt (z.B. Urlaub), da keine Kenntnisnahme des Arbeitnehmers von der Kündigung möglich ist.

Nach der Rechtsprechung erfolgt aber auch in diesem Fall der Zugang der Kündigung und der Beginn der Frist (BAG, 2 AZR 461/03 - Urt.v. 24.06.2004).

Allerdings kann der Arbeitnehmer nach § 5 I KSchG eine Zulassung der verspäteten Klage beantragen, wenn die Versäumung der Frist unverschuldet ist. Dies ist z.B. bei krankheits- oder urlaubsbedingter Abwesenheit in der Regel der Fall.

Auch ein unverschuldeter Rechtsirrtum kann zur nachträglichen Zulassung nach § 5 I KschG führen. Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liegt beim Laien dann vor, wenn keine andere Bewertung des Sachverhalts ernsthaft in Betracht zu ziehen war und deshalb die Ratssuche bei rechtskundigen Dritten nicht nötig schien (LAG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 22.6.1999 - 3 Ta 64/99).

4.3 Verhinderung des Zugangs der Kündigung durch Arbeitnehmer

Erhält der Arbeitnehmer von der bevorstehenden Kündigung Kenntnis und versucht den Zugang derselben zu verhindern, liegt eine Zugangsvereitelung vor.

Streitig ist wie der Arbeitnehmer zu behandeln ist, da in der Arbeitsgerichtsbarkeit davon ausgegangen wird, dass keine gesetzliche Verpflichtung besteht, besondere Vorkehrungen für den Zugang zu schaffen, selbst wenn der Arbeitnehmer von der Kündigung Kenntnis hat.

Teilweise wird geltend gemacht, der Arbeitnehmer verhalte sich treuwidrig, wenn der den Zugang vereitele und sich dann darauf berufe. In diesem Fall könne der Arbeitnehmer sich nicht auf den fehlenden Zugang berufen.

Anderes gilt aber, wenn die Versendung selbst nicht ordnungsgemäß (falsche Adresse, fehlende Frankierung) erfolgt ist.


5. Fristwahrung durch Klageeinreichung und Betreiben des Verfahrens


5.1 Klageeinreichung

Zur Fristwahrung ist die Einreichung der Klage beim ArbG ausreichend, wenn die Klageschrift demnächst zugestellt wird (§ 46 II ArbGG i.V.m. §§ 495, 270 III ZPO). Eine geringfügige Verzögerung ist auch noch in 14 Tagen zu sehen.

Wird die Klage beim unzuständigen Arbeitsgericht eingelegt, so ist die Frist gewahrt, wenn bei Weiterverweisung die Klage noch innerhalb der Frist beim zuständigen Gericht eintrifft.

Die Klageschrift muß noch keinen ausformulierten Klageantrag enthalten (LAG Nürnberg, 4(9) Sa 927/05 - Urt. v. 26.07.2006).


5.2 Mehrere Kündigungen = mehrere Klagen

Spricht der Arbeitgeber mehrere Kündigungen aus, hat der Arbeitnehmer sich gegen jede einzelne in der Frist des § 4 KSchG vor Gericht zu wehren (LAG Hamm, Urt. v. 15.12.1999 - 5 AZR 566/98).

5.3 Betreiben des Verfahrens

Das Verfahren muß nach der Einreichung auch mit einer gewissen Ernsthaftigkeit betrieben werden, sonst kann man das Klagerecht auch im Verfahren noch verwirken; all zu hohe Anforderungen sind nicht zu stellen.

Das LAG München, 8 Sa 892/08 - Urt.v.10.02.2009, hat eine solche Verwirkung bejaht, nachdem das Verfahren vom Kläger 3 Jahre nicht betrieben worden war.


6. Prozessuales


Die Ausschlussfrist von § 4 KSchG ist von Amts wegen zu prüfen.

Wird mit dem Kündigungsschutzantrag gemäß § 4 KSchG das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses im Zeitpunkt der Kündigung geltend gemacht, ist die Klage als unbegründet abzuweisen, wenn zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis bestanden hat (BAG, Urt. v. 20.9.2000 - 5 AZR 271/99).
In dieser Kommentarsreihe werden insbesondere folgende Abkürzungen und Quellen verwendet:
a.A. = Anderer Ansicht
AG = Arbeitgeber (evtl. auch einmal "Aktiengesellschaft")
AGBs, AGB´s = Allgemeine Geschäftsbedingungen
AN = Arbeitnehmer
AG = Arbeitgeber
ArbG = Arbeitsgericht (gelegentlich auch für Arbeitgeber!)
ArbGG = Arbeitsgerichtsgesetz
ArbN = Arbeitnehmer
ArbZG = Arbeitszeitgesetz
AT = Austria, Österreich
BAG = Bundesarbeitsgericht (BRD)
BGB = Bürgerliches Gesetzbuch (BRD)
BGH = Bundesgerichtshof (BRD)
BRD = Bundesrepublik Deutschland
BVerwG = Bundesverwaltungsgericht
CH = Schweiz
Dornb./W.- ... Dornbusch/Wolff-(Bearbeiter), KSchG, arbeitsrechtliche Kurzkommentare, Luchterhand-Verlag
EuGH = Europäischer Gerichtshof
EU = Europäische Union
h.M. = Herrschende Meinung
KSchG = Kündigungsschutzgesetz
LAG = Landesarbeitsgericht
OGH = Oberster Gerichtshof (Österreich)
OLG = Oberlandesgericht (BRD)
OVG = Oberverwaltungsgericht (BRD)
Pal.- ... = Palandt-(Bearbeitername), Kurzkommentar zum BGB, C.H. Beck-Verlag
PM = Pressemitteilung
m.M. = Mindermeinung
Staudinger-... = Staudinger-(Bearbeiter, Kommentar zum BGB
str. = strittig, streitig
u.a. = unter anderem
u.U. = Unter Umständen
ZPO = Zivilprozeßordnung
Urteile nach 15.02.2011, also nach Abschluss dieser Kommentierung